Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

210 chroßhbritannieu. Aug. 10.) 
Mächte und die Mittelmächte voneinander trennt, ist so tief, daß sie nicht 
ausgefüllt, und so breit, daß sie kaum überbrückt werden kann. Zu der 
pazifistischen Gruppe gewendet, sagt B.: Wünschen Sie, daß die afrikanischen 
Kolonien Deutschland, so wie es jetzt ist, zurückgegeben werden? Das würde 
erstens bedeuten, Deutschland an allen großen Handelsstraßen der Welt 
U-. Boot-Stationen zu verschaffen und den Handel der ganzen Welt Deutsch- 
land zur Verfügung zu stellen, zweitens würde Deutschland planmäßig eine 
große schwarze Armee in Mittelafrika schaffen, die eine friedliche Ent- 
wicklung unmöglich machen würde. Snowden: Das hat Frankreich bereits 
getan!) Gewiß, aber hat Frankreich den Frieden seiner Nachbarn bedroht? 
Das ist der springende Punkt! „Beifall.) Snowden hat nie die Entdeckung 
gemacht, daß Nationen Seelen und Charaktere haben. Glauben Sie, daß 
Deutschland bereit ist, seine Politik gegenüber Rußland aufzugeben? Deutsch- 
land freut sich an dem Verfalle Rußlands. Wenn Rußland wenig mehr 
bliebe als ein Hinterland für Deutschland, so würde es ein Unglück für 
die Menschheit sein. Wenn nicht Deutschland sein Herz ändert oder wenn 
nicht ein vollständiger Sieg der Alliierten alle in Deutschland überzeugt, 
daß die deutsche Politik verfehlt war, so kann ich nicht sehen, wie Rußland 
wiederhergestellt werden soll. Die pazifistischen Mitglieder des Hauses scheinen 
völlig unfähig zu sein, die Größe der Hindernisse zu würdigen, die Deutsch- 
land für die Verwirklichung der pazifistischen Ideale bietet. (Zu dieser Rede 
ogl. die Erwiderung des Staatssekretärs Solf (s. Tl. 1 S. 254 ff.) und die 
Ausführungen der „Nordd. Allg. Ztg.“ 1918 Nr. 106 und 426.) 
Im Laufe der Sitzung teilt der Staatssekretär für Irland Shortt 
mit, daß die dafür aufgestellte Kommission die Bemühungen, ein annehm- 
bares Homerule-Gesetz zu entwerfen, wieder ausgenommen hat. Er 
spricht die Hoffnung aus, daß die irischen Mitglieder des Hauses diese 
Bemühungen unterstützen werden. Diese Mitteilung ruft allgemeine Ueber- 
raschung hervor. — Schließlich vertagt sich das Haus bis 15. Okt. 
10. Aug. Kundgebung an das russ. Volk. 
„Reuter“ meldet: Die engl. Vertreter in Wladiwostok, Murman und 
Archangelsk veröffentlichen folgende Kundgebung der engl. Regierung 
an das russ. Volk: Eure Verbündeten haben euch nicht vergessen. Wir 
erinnern uns der vielen Dienste, die eure heldenmütigen Heere uns in den 
ersten Jahren des Krieges erwiesen haben. Wir kommen als Freunde, um 
euch zu helfen, euch vor der Zerstücklung und vor der Vernichtung durch 
Deutschland zu bewahren, das danach trachtet, euer Volk in Sklaverei zu 
versetzen und die bedeutenden Hilfsquellen eures Landes zum eignen Nutzen 
zu verwenden. Allein wir versichern euch feierlich, daß, während unfre 
Truppen in Rußland einrücken, um euch in eurem Kampfe gegen Deutsch- 
land beizustehen, wir auch nicht einen Fußbreit von eurem Gebiet behalten 
wollen. Wir bedauern den Bürgerkrieg, der euch spaltet, die innere Zer- 
rissenheit, die Deutschland die Eroberung ermöglicht. Indes haben wir nicht 
die Absicht, Rußland irgendein politisches System aufzudrängen. Das Schick- 
sal Rußlands liegt in den Händen des russ. Volkes selbst: es hat allein und 
niemand anders über die Staatsform und die sozialen Verhältnisse zu ent- 
scheiden. Völker Rußlands, euer Dasein als unabhängiges Land steht auf 
dem Spiel. Die Freiheit, die ihr in der Revolution erobert habt, wird 
durch die gepanzerte Faust Deutschlands bedroht. Schart euch um das 
Banner der Freiheit und Unabhängigkeit, das wir, nach wie vor eure 
Bundesgenossen, erhoben haben, und verhelft diesen beiden großen Grund- 
sätzen zum Siege, ohne die kein dauerhafter Friede und keine Freiheit der 
Welt möglich ist. Völker Rußlands, wir wollen nicht nur die Einmischung
	        
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