Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Großbritannien. (Dez. 21.—31.) 235 
aufgehoben und die Berichte über die Verhandlungen des Friedenskongresses 
und der gleichzeitig stattfindenden Arbeiterkonferenz ohne Einschränkung 
und Verzögerung übermittelt und veröffentlicht werden dürfen. Auch soll 
sofort für die britische Presse das Verbot der Erörterung der Friedens- 
bedingungen aufgehoben werden, damit das engl. Volk die gleiche Behand- 
lung genießt wie das amerikanische. 
Am 20. erhält Branting von Henderson folgendes Telegramm: 
Ich habe Vandervelde und Huysmans mitgeteilt, daß die brit. Partei eine 
internat. Konferenz in Lausanne wünscht, die etwa am 6. Jan. eröffnet 
werden soll. Es wird zu spät für den Zusammentritt des Bureaus. Falls 
der Exekutivausschuß der Internationale im Verein mit den Vertretern der 
internat. Gewerkschaftsbewegung sich weigern sollte, die Konferenz einzuberufen 
ohne Bevollmächtigung durch das Bureau, so schlage ich vor, daß Vander- 
velde, Thomas, Gompers und ich selbst unseren Auftrag ausführen, der 
dahin geht, jene Organisationen einzuberufen, die zu der interalliierten 
Sozialistenkonferenz im Febr. und Sept. 1918 (s. S. 218 ff.) eingeladen waren. 
Unter solchen Umständen schlage ich Ihnen vor, die Neutralen einzuberufen, 
die Mittelmächte sind davon unterrichtet, daß sie selbst ihre Anordnungen 
treffen sollen. — Die Konferenz tritt am 3. Febr. 1919 (s. Gesch Kal. 1919, 
Schweiz) in Bern zusammen. 
21. Dez. Deutschenausweisung aus England. 
Der „Deutsch. Allg. Ztg.“ wird aus dem Haag gemeldet: Die Kommission, 
die im Namen der brit. Regierung die Frage der Ausweisung der 
deutschen Staatsangehörigen behandeln sollte, ist zu der Schluß- 
folgerung gekommen, dah eine Ausweisung der Deutschgeborenen in vielen 
Fällen unmöglich sein und eine große Härte für die betroffenen Personen 
bedeuten, sowie großen Schaden für England zur Folge haben würde. 
Die Kommission wünscht auf Grund dieser Tatsachen eine Regelung zu treffen, 
die darauf hinausgehen muß, daß nur die angeblich gefährlichen Deutschen 
ausgewiesen würden, die anderen aber in England bleiben dürfen. In 
diesem Falle müsse jede Ausweisung einzeln behandelt werden. 
26.—31. Dez. (London.) Besuch des Präsidenten Wilson. 
Auf dem Bahnhof Charing Croß wird Präsident Wilson, der von 
seiner Gemahlin begleitet ist, vom engl. Königspaar mit königlichen Ehren 
empfangen. 
Am 27. hält der Präsident wichtige Besprechungen mit Lloyd George 
und anderen Regierungsmitgliedern ab. Abends findet im Buckingham- 
palast ein Festbankett statt, in dessen Verlauf zwischen dem König und 
dem Präsidenten Trinksprüche gewechselt werden. In seiner Antwort auf 
die Begrüßungsansprache des Königs sagt Wilson u. a.: Wir haben die 
großen Worte „Recht“ und „Gerechtigkeit“ ausgesprochen. Jetzt müssen 
wir zeigen, ob wir diese Worte verstehen oder nicht, und wie sie im ein- 
zelnen auf die Abmachungen anzuwenden sind, die diesen Krieg abschließen 
müssen. Wir müssen sie nicht nur verstehen, sondern wir müssen auch den 
Mut haben, nach unserer Ansicht zu handeln. Nachdem ich das Wort „Mut“ 
ausgesprochen habe, drängt sich mir die Ueberzeugung auf, daß es mehr 
Mut erfordern würde, der großen moralischen Strömung Widerstand zu 
leisten, die jetzt durch die Welt geht, als ihr nachzugeben und zu gehorchen. 
Durch die Herzen der Menschen geht jetzt eine große Strömung. Die 
Menschen sind sich nie zuvor dessen bewußt gewesen, wie wenig Unterschied 
zwischen Recht und Gerechtigkeit in den verschiedenen Breitegraden und 
unter den verschiedenen Staatsgewalten bestand. Es wird, wie ich glaube, 
unser hohes Vorrecht sein, nicht nur das moralische Urteil der Welt auf
	        
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