Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

236 Hroßbrilanien. Dez. 26.—31.., 
die einzelnen Regelungen, die wir anstreben werden, anzuwenden, sondern 
auch die moralische Rraft der Welt dafür zu ordnen, um diese Regelungen 
zu bewahren, die Kräfte der Menschheit in sichere Bahnen zu leiten und 
das Recht und die Gerechtigkeit, denen sich große Nationen wie die unseren 
geweiht haben, zu der vorherrschenden und alles beaufsichtigenden Macht 
der Welt zu machen. 
Am 28. empfängt Präsident Wilson in der amerik. Botschaft eine 
Abordnung der Völkerbundliga, in der sich Lord Grey, Asquith, Lord 
Bryce und der Erzbischof von Canterbury befinden. Bei der Vorstellung 
der Abordnung sagt Grey, England und Amerika seien sich darüber einig, 
daß der Völkerbund eine der wichtigsten Angelegenheiten sei und daß es 
ein Unglück wäre, wenn die Friedenskonferenz auseinanderginge, ohne ihn 
errichtet zu haben. Hierauf verliest der Erzbischof von Canterbury eine 
Adresse, auf die Wilson mit einer längeren Rede erwidert. 
Später überreicht eine Abordnung, die fünf Millionen Arbeiter 
Großbritanniens vertritt, dem Präsidenten Wilson eine Adresse, in der 
gesagt wird, daß die Arbeiterpartei immer die Politik des Präsidenten 
unterstützt habe und dies auch in Zukunft gegen jede Opposition tun werde. 
Der Präsident dankt der Abordnung und sagt: Wir verstehen einander. 
Am gleichen Tage hält Präsident Wilson bei der Entgegennahme 
einer Willkommadresse der Londoner City in der Guildhall eine längere 
Rede, in der er für den Völkerbund als der sichersten Bürgschaft für den 
Bestand des Weltfriedens eintritt. 
Am 30. führt Präsident Wilson in Manchester anläßlich der Ueber- 
reichung des Ehrenbürgerbriefes der Stadt u. a. aus: Bisher wurde die 
Welt von Interessengemeinschaften regiert oder man hat versucht, sie auf 
diese Weise zu regieren, aber die Interessen trennen die Menschen. Von 
dem Tage an, wo im geringsten von der sorgfältigen Anordnung der Inter- 
essen abgewichen wird, beginnen Eifersüchteleien. Es gibt nur eines, was die 
Völker aneinander fesseln kann, und das ist die gemeinsame Hingabe an 
das Recht. Seit dem Anfang der Geschichte der Freiheit haben die Menschen 
von ihren Rechten gesprochen, und es hat mehrere hundert Jahre gekostet, 
um sie zur Einsicht zu bringen, daß das Wichtigste vom Recht die Pflicht 
ist. Kein anderer Gedanke als dieser darf uns leiten. Die Ver. St. haben 
von Anbeginn ihrer Geschichte immer das Gefühl gehabt, daß sie sich von 
jeder Einmengung in die europäische Politik fernhalten müssen. Sie sind 
auch jetzt nicht an der europäischen Politik interessiert, sondern an der auf 
das Recht gerichteten Gemeinschaft Amerikas und Europas. Wenn die Zu- 
kunft uns nichts anderes brächte als einen neuen Versuch, die Welt durch 
Machtverteilung im Gleichgewicht zu halten, so würden die Ver. St. daran 
kein Interesse nehmen, denn sie wollen keiner Machtkombination beitreten, 
die nicht eine Vereinigung aller ist. Die Ver. St. sind nicht nur am euro- 
päischen, sondern auch am Weltfrieden interessiert, deshalb scheint es mir, 
daß die vor uns liegende Regelung etwas Schwierigeres zustande zu bringen 
hat, als je vorher versucht wurde, nämlich eine wahre Uebereinstimmung 
der Geister und der Ziele. Aber wenn diese Aufgabe auch schwer ist, so 
ist doch ein Element vorhanden, das sie leicht macht. Nie zuvor in der 
Geschichte der Welt bestand eine so strenge internat. Gewissenhaftigkeit wie 
jetzt. Ueberall in der Welt wissen die Menschen, daß sie von nationalen 
Gegensätzen gehindert wurden und daß das Interesse jedes einzelnen das 
Interesse aller ist, und daß die Menschen als solche Objekte der Regierungen 
und internat. Abmachungen sind. Es erhebt sich gerade jetzt in der Welt 
ein lauter Ruf nach Menschlichkeit, und wer ihn nicht zu hören vermag, 
ist taub. Es besteht jetzt ein großer Zusammenhang eines gemeinsamen
	        
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