Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

252 krankreich. (März. 8.) 
des Rechtes eine internat. Vereinigung freier Völker zu schaffen. Die Stimme 
der Alten und der Neuen Welt, des Orients und des Okzidents, die rächende 
prophetische Stimme, die den Aufruhr der Schlachten beherrscht und stark 
ist durch das einmütige Gefühl der Seelen, in denen die Gerechtigkeit waltet, 
bedeutet den Mächten des Todes im Kampfe gegen die Mächte des Lebens 
die Unmöglichkeit, auf den Sieg Anspruch zu machen, der ein Zusammen- 
bruch für die Menschlichkeit sein würde. 
Zu dem Telegramm des Reichskanzlers v. 31. Juli 1914 schreibt der 
„Figaro“: Das durch Pichon enthüllte Dokument ist erst seit einigen Tagen 
bekannt. Die Geheimzeichen sind erst neuerdings entziffert worden. Seit 
1911 hat Deutschland seine Chiffren geändert. Alle Entzifferungsversuche 
waren bis zu den letzten Tagen erfolglos geblieben. — Die halbamtliche 
Verlautbarung der „Nordd. Allg. Ztg."“ dazu s. Tl. 1 S. 111 f. 
8. März. (Kammer.) Zarenbrief an Poincaré, Boloprozeß. 
Auf der Tagesordnung steht zunächst eine Interpellation des Abg. Jean 
Bon (Soz.) über einen von der franz. Presse einige Tage vorher veröffent- 
lichten Brief des Zaren v. 30. April 1916 a. St., den der Zar dem damals 
in Rußland weilenden Viviani für Poincaré mitgab. Der Zar spricht darin 
in ausdrücklichster Weise den Wunsch aus, daß alle Alliierten alle Mittel 
in den Dienst der gemeinsamen Sache stellen. Rußland seinerseits scheue 
vor keinem Opfer zurück, um der Sache der Alliierten zum Triumphe zu 
verhelfen. (Reaktionäre Zeitungen sehen in diesem Brief einen Beweis, daß 
der Zar der Entente stets Treue bewahrt habe. „Figaro“ erklärt, die Idee 
des Sonderfriedens sei maximalistisch, deren Ruhm man Lenin und Trotzki 
überlassen könne. „Gaulois“ predigt ganz offen die Wiederaufrichtung des 
Zarentums. Frankreich habe niemals einen so treuen Bundesgenossen be- 
sessen wie den Zaren. Sein Sturz und die russische Revolution seien das 
unheilvollste Ereignis für die Entente gewesen. Diese Bemühungen, dem 
Zarismus in Frankreich wieder Anhänger zu verschaffen, werden in der 
soz. Presse in schärfster Weise zurückgewiesen. „Heure“ erklärt, der Kom- 
mentar des „Figaro“ sei geradezu von zynischer Gewissenlosigkeit. Wenn 
jemand die Entente verraten habe, sei es der Zar gewesen.) 
Der Minister des Aeußern Pichon sagt, er begreife nicht recht die 
Tragweite der Frage; es handle sich um ein von der Presse veröffentlichtes 
Schriftstück, wie das oft vorkomme. Man dürfe die Regierung nicht zwingen, 
alle diplomatischen Schriftstücke vor ihrer Veröffentlichung in den Zeitungen 
dem Parlament zur Erörterung vorzulegen. Denn so würde die öffentliche 
Meinung schlecht unterrichtet werden. Das Schriftstück sei in Uebereinstim- 
mung mit der Regierung veröffentlicht worden. Die Regierung beschränke 
sich darauf, sich der Erklärung des engl. Botschafters anzuschließen, daß die 
kaiserlich russische Regierung bis zum letzten Augenblick ihre Treue für das 
Bündnis versichert habe. 
Abg. Renaudel (Soz.) fragt, warum die Regierung nicht den 
Bündnisvertrag mit Rußland veröffentliche, wozu Ribot sich ver- 
pflichtet habe. Man könne sich auf diese Weise ein Urteil über den fried- 
lichen Charakter des Vertrags bilden. — Pichon macht keine grundsätzliche 
Einwendung, erbittet sich aber Zeit zur Prüfung der Frage, die er bejahend 
zu lösen wünsche. Man werde alsdann sehen, daß die Regierung stets ihr 
Möglichstes getan habe, um den Frieden zu erhalten. Nicht für Rußland 
sei Frankreich in den Krieg eingetreten, sondern zu seiner Verteidigung. 
Man werde auch sehen, daß niemand außerhalb der Diplomatie eine per- 
sönliche Rolle gespielt habe. Das sei auch noch eine Legende, die die Ver- 
öffentlichung zerstören würde.
	        
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