Frankreich. (Juli 16.— Aug. 6.) 267
dem Strafgesetz eine Komplizität jedoch nur in Frage, wenn Malvy gewußt
hätte, daß Almereyda wirklich die Absicht hatte, Verrat zu üben, als er den
Minister um Pässe ins Ausland für sich und seine Mitarbeiter ersuchte. Aus
den Verhandlungen habe sich jedoch ergeben, daß Malvy dieses Bewußtsein
nicht hatte, und infolgedessen sei die Beschuldigung der Mithilfe unhaltbar.
Am 5. beginnen sodann die Abstimmungen. Zunächst erklärt sich
der Senat als Staatsgerichtshof (gegenüber einem Antrag, die Sache an
die Militärjustiz zu verweisen) mit einer Mehrheit von 8 Stimmen für
kompetent. Hierauf wird die Frage auf Verrat, sowie die Frage auf Mit-
hilfe bei Verrat verneint. Der Antrag des Verteidigers, die Sache nunmehr
an die Kammer zurückzuverweisen, da diese die Immunität Malvys nur
für die Anklage wegen Verrats aufgehoben habe, wird abgelehnt. Mit 98
gegen 56 Stimmen bei 27 Stimmenthaltungen erklärt sodann das Gericht
die von dem gemäßigten Senator Flandin gestellte Frage für zulässig, ob
Maldy der Pflichtverletzung (forfaiture) schuldig sei. Diese Frage wird bejaht,
worauf M. am 6. mit 96 gegen 83 Stimmen bei drei Stimmenthaltungen
unter Zubilligung mildernder Umstände zu fünf Jahren Landesverweisung
(bannissement, nicht déportation) ohne Aberkennung der bürgerlichen Rechte
und zum Ersatz der Kosten des Verfahrens an den Staat verurteilt wird.
(S. ferner 5. Sept.)
Der in öffentlicher Sitzung verlesene Beschluß des Staatsgerichts-
hofes erklärt die gegen Malvy erhobenen Anklagen auf Verrat für voll-
ständig erdichtet und weist die Anklage auf Mitschuld am Verrat gleichfalls
zurück. Der Beschluß besagt ferner: Es steht fest, daß seit Ende 1914 ein
Plan verabredet wurde, um die Verteidigung des Landes durch. Beein-
trächtigung der moralischen Kraft der Nation und der Manneszucht im
Heere zu untergraben. Diese Propaganda wurde namentlich durch die
Gründung von Zeitungen und die Verbreitung von Flugschriften sowie
durch Reden und Vorträge betrieben. Malvy kannte dieses verbrecherische
Unternehmen, die Hauptursache der Menutereien im Jahre 1917. Anstatt
diese Propaganda nachdrücklich zu bekämpfen, subventionierte Malvy ein
Blatt (Almereydas „Bonnet Rouge“), dessen Redakteure wegen Einverständ-
nisses mit dem Feinde verurteilt wurden, und erteilte die Weisung zur
Einstellung des Strafverfahrens gegen bekannte Anarchisten. Malvy be-
hauptet vergeblich, daß diese auf die heilige Einigkeit aller Franzosen ab-
zielende Politik nicht vor den Staatsgerichtshof gebracht werden sollte, und
daß er so. gehandelt habe, um Unruhen zu verhüten. Denn die fast ein-
mütige patriotische Begeisterung der franz. Arbeiter hat im Gegenteil bewiesen,
daß diese einen Schuldigen aus ihren Organisationen ausgestoßen hätten.
Der Beschluß erklärt endlich, daß Malvy des Einverständnisses mit dem
Feinde nicht schuldig sei, dagegen sei er schuldig, die Pflichten seines Amtes
in einer Weise verkannt, verletzt und verraten zu haben, die den Tatbestand
der Pflichtvergessenheit darstelle.
Nachdem die von Daudet erhobenen Anklagen auf absichtlichen Landes-
verrat sich als unbegründet erwiesen haben, bedeutet die in letzter Stunde
vorgebrachte Anschuldigung der Pflichtverletzung, die gesetzlich eigentlich nur
mit Bezug auf das Richteramt anwendbar ist, einen politischen Schachzug,
um Clemenceau, der durch seine Rede v. 22. Juli 1917 (s. Gesch Kal. 1917
Tl. 2 S. 424) den Angriff gegen Malvy eröffnet hatte, wenigstens aus der
bei völliger Freisprechung drohenden verhängnisvollen Lage zu retten. Da
die Zahl der Senatoren 300 beträgt, ist die für die Verurteilung sich er-
gebende Mehrheit äußerst gering. Von der Arbeiterschaft wird das Urteil
als eine Herausforderung betrachtet und mit scharfen Protestkundgebungen
beantwortet. Das Urteil des Staatsgerichtshofs habe der nationalen Einheit