274 krankreich. (Sept. 19.)
Die Veröffentlichung ist eine Antwort auf die Enthüllungen der russ.
Sowietregierung. Die franz. Regierung will damit aufs neue die friedfertige
Tendenz der Allianz beweisen, in Wirklichkeit geht aber aus den Akten-
stücken, obwohl die Auswahl in dieser Tendenz getroffen wurde, mit über-
zeugender Kraft hervor, daß die franz. Diplomatie während 15 Jahren
bemüht war, die der Allianz vom Zaren Alexander III. aufgeprägte Friedens-
tendenz in eineegen Deutschland und Oesterreich-Ungarn gerichtete An-
griffstendenz umzuwandeln. Außer den Dokumenten über die Vorgeschichte
der franz.-russ. Militärkonvention v. 17. Aug. 1892 ist von besonderer
Bedeutung ein Bericht, den der franz. Minister des Aeußern Delcassé am
12. Aug. 1899 dem damaligen Präsidenten Loubet über das Ergebnis seiner
Reise nach Petersburg erstattete. Delcassé setzt in diesem Bericht auseinander,
daß der russ.-franz. Zweibund ursprünglich gegen den Dreibund gegründet
worden sei, daß der Dreibund jedoch im Augenblick des Todes Kaiser
Franz Josefs voraussichtlich auseinanderfallen werde. Die Folge würde
sein, daß die Allianz gerade in dem Augenblick gegenstandslos würde, wo
sie für die Erhaltung des europäischen Gleichgewichts am notwendigsten sei.
Es sei deshalb notwendig, die Dauer der Allianz in Verbindung mit der
Militärkonvention zu sichern. Delcassé teilt in seinem Bericht mit, daß er
am 6. Aug., einem Samstag, vom Zaren und der Zarin zum Mittagessen
zugezogen wurde. Der Zar führte ihn sodann in sein Arbeitskabinett und
Delcassé setzte ihm diese Ideen auseinander. Er schließt seinen Bericht, in-
dem er versichert, daß der Zar seine Auffassung teile, mit folgenden Sätzen:
„In diesem Augenblick nahm ich mir die Freiheit, dem Kaiser den Ent-
wurf einer Erklärung zu unterbreiten, die ich am gleichen Vormittag ver-
faßt hatte. Das Einvernehmen von 1891 wird darin feierlich bestätigt, aber
seine Tragweite wird in außergewöhnlicher Weise ausgedehnt. Während
die beiden Regierungen im Jahre 1891 ihre Sorge auf „die Erhaltung
des allgemeinen Friedens“ richteten, besagt mein Entwurf, daß sie eben-
sosehr auf „die Erhaltung des Gleichgewichts unter den europäischen Mäch-
ten“ gerichtet ist. Indem man in dem Entwurf außerdem die Militär-
konvention mit dem diplomatischen Abkommen verknüpfte, erhielt sie die
nämliche Dauer. Der Kaiser hat gefunden, daß ich seine Gedanken genau
wiedergegeben habe. Das Einvernehmen auf der Grundlage dieses Entwurfs
bestand jedoch bereits zwischen dem Minister des Aeußern und mir. Es
wurde beschlossen, daß das neue Abkommen, dessen Inhalt und dessen Exi-
stenz unbedingt geheim bleiben sollten, bei meiner Abreise von Petersburg
geschlossen werde."“
Das „Gelbbuch“ schließt mit zwei Dokumenten, die beweisen, wie die
Politik Delcassécs immer weitere Kreise gezogen hat. Das eine dieser Doku-
mente besteht in dem Wortlaut der Marinekonvention, die Delcassé
selbst als Marineminister am 16. Juli 1912 unterzeichnete und in der
Rußland und Frankreich sich verpflichteten, auch ihre Seestreitkräfte schon
in Friedenszeiten auf eine gemeinsame Kriegführung gegen die Zentral-
mächte vorzubereiten. Diese Konvention war unter dem Einfluß Englands
die Folge der deutsch-franz. Kongo-Kamerun-Verhandlungen. Deutschland
und Oesterreich-Ungarn machten damals durch ihre Geschäftsträger in Paris
die franz. Regierung auf das Bedenkliche des Schrittes aufmerksam.
Ministerpräsident Briand, der damals das Ministerium des Aeußern in-
terimistisch leitete, machte den franz. Vertretern im Ausland von diesem
Schritt Mitteilung in einem Telegramm v. 10. Aug. 1912, in dem er sagte:
„Den beiden Geschäftsträgern ist mitgeteilt worden, daß die franz. Regierung
in den Beziehungen zu den Dreiverbandsmächten stets an den traditionellen
Grundsätzen ihrer Politik festhält, das heißt, an der Erhaltung des euro-