Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Eraukreith. (Okt. 6.) 277 
minister. Das Ministerium beschloß, als Vertreter bei den Alliierten zu 
akkreditieren: Osusky als Geschäftsträger der tschecho-slowak. Gesandtschaft 
in London bei der brit. Regierung, Sychriva als Geschäftsträger in Paris 
bei der franz. Regierung, Porsky als Geschäftsträger in Rom bei der ital. 
Regierung, Proglor als Geschäftsträger in Washington, Bogdanpawlu, gegen- 
wärtig in Omzk, als Vertreter in Rußland. Die Vertreter bei der jap. und 
serb. Regierung werden später bezeichnet werden. Benesch bemerkte weiter, 
diese Entscheidungen seien in vollem Einvernehmen mit den politischen Führern 
des Landes der Tschecho-Slowaken getroffen worden. Er erinnerte daran, 
wie am 2. Okt. 1918 der tschecho-slowak. Abg. Stanek im österr. Reichsrat 
feierlich erklärte, daß das oberste Organ des tschecho--slowak. Heeres berufen 
sei, die Nation bei den Alliierten und auf der Friedenskonferenz zu ver- 
treten. Ferner habe der Abg. Zahradnik am 9. Okt. im Namen derselben 
Vereinigung erklärt, daß die Tschecho-Slowaken jede Verbindung mit Oester- 
reich und Ungarn endgültig abgebrochen hätten. Kraft dieser Entscheidung 
der Nation und der Heere der Tschecho-Slowaken übernehme daher der Rat 
als prov. nationale Regierung die Leitung der politischen Geschicke des Landes 
der Tschecho-Slowaken und knüpfe mit den Alliierten amtliche Beziehungen an. 
In Bestätigung des Empfanges dieser Mitteilung erklärte der Minister 
des Ausw. Pichon, daß die Sympathien Frankreichs für die Tschecho- 
Slowaken keiner Bestätigung bedürften. Alle freien Völker und Frankreich 
in erster Linie hätten die Vaterlandsliebe, die Tapferkeit und den Opfer- 
mut der tschecho-slowak. Nation und Armee nach Verdienst bewundert. Die 
Regierung der Republik schätze sich glücklich, durch das Abkommen v. 28. Sept. 
1918 ihre Erklärung v. 28. Juni d. J. (s. S. 263 f.) betr. das Recht der tschecho- 
slowakischen Nation auf Unabhängigkeit und die Anerkennung des National- 
rats als Regierung de facto zu bestätigen und dadurch die Bewunderung 
und Sympathie zu bezeugen, die sie einer illustren Nation entgegenbringe, 
welche aufs neue erstehe, nachdem sie, ohne je zu wanken, Jahrhunderte der 
Knechtung getragen habe. In dem Gefühle tiefer Genugtuung erkenne er 
im Namen der Republik die prov. Nationalregierung des Landes der Tschecho- 
Slowaken an. (Näh. über das franz.-tschech. Abkommen v. 28. Sept. (. 
Gesch Kal. 1919, Tschechoflowakei, 14. Jan.) 
6. Okt. Zum deutschen Friedensangebot. 
Ueber die Auffassung amtlicher Kreise verbreitet „Havas" folgende halb- 
amtliche Auslassung: Der Vorschlag Deutschlands an die Allüierten (s. Tl. 1 
S. 320), sogleich die Friedensverhandlungen zu beginnen, bildet einen 
integrierenden Bestandteil der zwischen den Mittelmächten vereinbarten 
Friedensoffensive. Obwohl die franz. Regierung noch nicht amtlich davon 
Kenntnis hat, kann man leicht voraussehen, wie sie diesen Schritt unter 
den gegenwärtigen Umständen aufnehmen wird. Es genügt, die Gründe zu 
prüfen, die Deutschland zu diesem Schritt veranlaßt haben. In erster Linie 
ist es das Schwachwerden seiner beiden Bundesgenossen, die ihm noch treu 
geblieben sind. In zweiter Linie ist es die Ueberraschung über den Abfall 
Bulgariens, wodurch der Traum von der Herrschaft über den Orient durch 
Mitteleuropa zunichte wird. Setzen wir noch in Rechnung, daß die Türkei 
nicht mehr mitzählt, und daß Oesterreich--Ungarn, das von sehr schweren 
inneren Konflikten und den Selbständigkeitsbestrebungen der das Reich bil- 
denden Nationalitäten bedroht wird, ein Ende zu machen wünscht. Auch in 
Deutschland wütet eine innere Krise. Der Rücktritt Hertlings ist das letzte 
Kennzeichen. Sein Nachfolger beginnt im Parlament mit der Verkündigung 
des Friedensangebots der Mittelmächte. Das ist ein ziemlich deutliches 
Zeichen einer Aenderung der Zeiten. Die Wahrheit ist, daß die Lenker des
	        
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