Eraukreit. (Okt. 6. —- 10.) 279
Regierungen die Bekanntgabe ihrer Kriegsziele und Friedensbedingungen
verlangt haben. Die Partei erinnert daran, daß sie in der Tat die franz.
Regierung dauernd gedrängt hat, gemäß den Anschauungen des Präsidenten
Wilson zu handeln, daß sie noch kürzlich auf dem Londoner Kongreß (s. S. 218 ff.)
sich für eine positive und öffentliche Diplomatie wie für die 14 Punkte v.
Jan. 1918 erklärt hat. Energischer als jemals tritt die Partei jedem Schritt
des Präsidenten Wilson bei, der bezweckt, „den kämpfenden Massen gerecht
zu werden, die vorzüglich einen Anspruch auf eine jedes Mißverständnis
ausschließende Antwort“ haben. Mit dieser Politik glaubt sie, wie der Prä-
sident Wilson, an der schnellen Herbeiführung eines gerechten und dauernden
Friedens zu arbeiten.
Am 7. beginnt sodann die Aussprache über die allgemeine Partei-
politik, die zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Mehrheits- und
der Minderheitsrichtung führt. Die Zeitungsberichte darüber sind durch die
Zenfur jedoch derart verstümmelt, daß der Gang der Verhandlungen im
einzelnen nicht zu verfolgen ist. U. a. wird Albert Thomas wegen seiner
Haltung als früherer Minister den geheimen Machenschaften Doumergues
in Rußland und später den von dem Prinzen Sixtus von Bourbon ver-
mittelten Friedensangeboten des Kaisers von Oesterreich gegenüber scharf
angegriffen. Marcel Cachin, Mitglied der Kammerkommission für Ausw.
Angelegenheiten, gibt unter Anführung aller Dokumente eine ausführliche Dar-
legung der Verhandlungen zwischen dem Grafen Revertera und Armand. —
Thomas erwidert, nachdem er auf seiner Rußlandreise den Geheimvertrag
Doumergues (s. Gesch Kal. 1917 Tl. 2 S. 975f.) kennen gelernt habe, habe er
sofort an den Ministerpräsidenten geschrieben, daß der Vertrag die ministerielle
Solidarität breche, und daß er die Regierung verlassen würde, falls der
Vertrag aufrechterhalten bliebe. Hierauf sei die Kammerdebatte eröffnet
worden, die zu einer klaren Ablehnung des Imperialismus geführt. habe.
Nach Annahme der betreffenden Tagesordnung habe der Ministerpräsident
an Thomas geschrieben, daß er seine Mitarbeit im Ministerium fortsetzen
könne, der Vertrag Doumergues könne als nichtexistent betrachtet werden.
Bezüglich des Briefes an Prinz Sixtus erklärt Th., daß er ihn erst zugleich
mit dem Publikum kennen gelernt habe, aber mit Hinblick auf die ver-
sprochene Geheimhaltung billige, daß der Chef der Regierung den Ministern
die darin enthaltenen Vorschläge verschwiegen habe. Die Vorschläge hätten
keine ernsten Friedenschancen geboten.
Am 10. erlangt bei der Abstimmung über die vorliegenden Tages-
ordnungsanträge der Antrag Longuet (bish. Minderheit) 1528 Stimmen,
der Antrag Renaudel (bish. Mehrheit) 1212 Stimmen und ein Verbindungs-
antrag der Gruppe Sembat (Zentr.) 181 Stimmen. Da auch die Kienthaler
zum ersten Male mit der Gruppe Longuet stimmen, so steht fest, daß der
Parteitag sich für die unzweideutigste Friedenspolitik im Sinne der inter-
nationalen Parteibetätigung ausgesprochen hat.
Die angenommene Tagesordnung Longuet entwickelt ein aus-
führliches Programm der sozialistischen Friedensaktion. Die Partei erklärt,
daß die Weltkrise die Notwendigkeit des Verschwindens der kapitalistischen
Gesellschaft und ihre Ersetzung durch ein Regime erweist, worin mit den
Klassen auch die nationalen Gegensätze wegfallen. Sie erklärt sich solidarisch
mit der nationalen Verteidigung und betont gleichzeitig ihre Treue zur
Internationale, welche allein durch die Abschaffung der Beherrschung der
öffentlichen Angelegenheiten durch Finanz und Großindustrie und durch
Ueberwindung des von den Herrschenden unterhaltenen Hasses zwischen den
Menschheitsgruppen den Dauerfrieden vorbereiten kann. Der Kongreß be-
tont, daß der Sozialismus in Frankreich wie überall seine Aufgabe in