Erankreih. (Nov. 5.) 283
5. Nov. (Kammer.) Clemencaus Triumph.
In Anwesenheit sämtlicher Mitglieder der Regierung und des diplo-
matischen Korps hält Präsident Deschanel eine Ansprache, worin er den
Sieg der Sache der Alliierten, insbesondere der Serben und Italiener feiert.
Der Minister des Aeußern Pichon stimmt im Namen der Regierung diesen
Erklärungen zu. Als hierauf Ministerpräsident Clemenceau die Tribüne
besteigt, um den Wortlaut des Waffenstillstandes mit Oesterreich-Ungarn
zu verlesen, bereitet ihm das Haus eine stürmische Huldigung. Cl. wehrt
ab mit den Worten: Alles, was ich getan habe, hat Frankreich mit Ihrer
Hilfe getan! (Stimme auf der äußersten Linken: Es ist ein Verbrechen!)
Wenn es ein Verbrechen ist, dann habe ich es für Frankreich begangen.
Er verliest alsdann den Wortlaut des Abkommens mit Oesterreich-Ungarn.
Die Kammer begleitet die Verlesung mit lebhaften Beifallsäußerungen, be-
sonders die Bestimmung, daß die sofortige Auslieferung der Kriegsgefangenen
ohne Gegenseitigkeit zu erfolgen habe. Bei dem Satze, der den Truppen
der Entente das Besetzungsrecht zur Aufrechterhaltung der Ordnung zugesteht,
fragt eine Stimme l.: „Gegen wen?“ Cl. fährt fort: Die Konferenz der Alliierten
ist gestern zu Ende gegangen. Die drei Helfershelfer, deren der deutsche Kaiser
bedurfte, lassen ihn heute im Stich. Die Konferenz der Alliierten hat den Wort-
laut eines Waffenstillstandes festgesetzt, der für Deutschland bestimmt ist. Er
ist gestern Abend dem Präsident Wilson übermittelt worden, der ihn, wenn
er ihn billigt, der kaiserlich-demokratischen Regierung Deutschlands bekannt
geben wird. (Beifall und Heiterkeit.) Es wird dann genügen, daß Deutsch-
land sich an Marschall Foch wendet. Der Geist, in welchem dies letzte
Dokument verfaßt ist, ist derselbe wie derjenige dem die drei anderen ent-
sprungen sind. Die Bedingungen sind uns durch Wilson selbst empfohlen
worden. Der Zweck der Waffenstillstandsbedingungen ist der, den Feind
derart zu entwaffnen, daß er die Feindseligkeiten nicht wieder aufnehmen
könne für den Fall, daß er sein Wort nicht halte oder in irgendeiner Weise
bösen Willen bekunde. (Abg. Rinquier von St. Quentin ruft: Und die Heim-
kehr der Zivilbevölkerung?) Clemenceau: Seien Sie versichert, daß ich das
nicht vergessen habe. Ich bin in das politische Leben im Jahre 1871 ein-
getreten. Ich bin der letzte Ueberlebende derjenigen, die den Protest gegen
die Annexion Elsaß-Lothringens unterzeichnet haben. (Kammer und Pu-
blikum erheben sich von ihren Sitzen und rufen Bravol) Der Frieden ist
vielleicht nicht so nahe, wie gewisse Leute glauben, aber er ist sicher, und
ich habe die Pflicht, denjenigen zu huldigen, die niemals an unserer Er-
hebung zweifelten, wie Gambetta, Chanzy, Scheurer-Kestner und Kuß, der
letzte Bürgermeister von Straßburg. Aber vor dem Frieden müssen wir
an unsere nächste Pflicht denken. Nach den Verwüstungen unseres Landes
ist es unmöglich, auf allen notwendigen Ausgleich zu verzichten. Nach dem
furchtbarsten Krieg, der je die Völker fortgerissen hat, sind Worte eitel, es
bedarf der Tat. Wir müssen uns von unseren alten Gewohnheiten freimachen.
Wir müssen uns selbst umwandeln. Wenn wir keine Bundesgenossen gehabt
hätten, so hätten wir nicht triumphieren können, und auch unsere Bundes-
genossen hätten nicht allein triumphieren können. Manche erblicken darin
eine Herabsetzung. Ich sehe darin einen Vorteil für die Menschheit. Wir
haben aus unseren alten Feinden, den Engländern, Freunde gemacht; wir
haben sie besonders gern wegen ihren Großmutes. Man hat daran erinnert,
wie wir über die Italiener dachten. Alle diese Völker müssen unsere un-
erschütterlichen Freunde bleiben. Solidarität, französische Solidarität mit
allen Bundesgenossen muß unsere Parole bleiben! Wir selbst haben uns
unter uns ebenfalls verabscheut, aber unsagbare Leiden haben bewirkt, daß
es nur noch Franzosen gibt, und das muß so bleiben. Jeder bewahrt sein