frankreich. (Dez. 6.) 289
des allgemeinen Wahlrechts für Elsaß-Lothringen gewählten Landtag an
mich gerichtete Gruß rührt mich tief und ich freue mich, mit der Regierung
der Republik und den Mitgliedern des Parlaments dem von uns befreiten
Land die begeisterten Glückwünsche überbringen zu können.
Zu diesem Ergebenheitstelegramm des elf.--lothr. Landlages wird der
„Voss. Ztg.“ von einem unterrichteten Altelsässer geschrieben: Der jetzige
Landtag ist 1911 unter der Parole „Elsaß-Lothringen den Elsaß-Lothringern“
gewählt worden, das heißt für Autonomie gegen den damals von einem
kleinen Kreise künstlich erzeugten Nationalismus. Der Landtag hat also
niemals ein Mandat erhalten, das ihn zum Eintreten für Frankreich be-
rechtigte. Die erwähnte Kundgebung ist daher nicht ein Ausdruck des Volks-
willens und damit völlig wertlos. Wie gering die Vertrauenswürdigkeit des
Landtages ist, beweist die Tatsache, daß ein Teil seiner Mitglieder noch vor
kurzem für den Anschluß Elsaß--Lothringens an Preußen eingetreten ist.
Die Franzosen erblicken „das Unrecht von 1871“ darin, daß das Volk von
Elsaß-Lothringen nicht befragt wurde, als Deutschland das Land nach seiner
Auffassung zurücknahm. Aber „das Unrecht von 1871“ kann nicht gut-
gemacht werden durch das Unrecht von 1918. Der einzige gerechte Ausweg
bleibt die Befragung des Volkes. Wir sind überzeugt, daß nach wie vor
ein großer Teil der Bevölkerung die Autonomie des Landes wünscht. Aus
Furcht vor franz. Rachsucht ist sie jedoch zum Schweigen verurteilt.
Diese Kundgebungen gehen übrigens, wie aus der Auslassung der
„Dtsch. Allg. Ztg.“ (s. S. 290 f.) zu ersehen ist, nicht von dem Vollandtag,
sondern von dem daraus entstandenen Nationalrat (s. Tl. 1 S. 472) aus.
6. Dez. Der Ministerrat betraut den Abg. Deschamps mit der
Leitung des neuerrichteten Unterstaatssekretariats für Demobili-
sierungswesen.
6. Dez. (Els.-Lothr.) Der Landtag für Anschluß an Frankreich.
Der els.-lothr. Landtag nimmt folgende Resolution an: Der
Landtag hält es für seine Pflicht, vor seiner Vertagung seinerseits zu pro-
klamieren, daß das Recht Elsaß-Lothringens, sich Frankreich wieder an-
zuschließen, unbestreitbar und endgültig ist.
Zu dieser Entschließung schreibt der „Temps“: Man ermißt die Be-
deutung dieser Abstimmung, wenn man daran denkt, daß diese Abgeordneten im
Oktober 1911 nach der Einführung der neuen Verfassung für Elsaß-Lothringen
gewählt worden sind. Die Deutschen, die auch heute noch behaupten, daß
Elsaß-Lothringen Abgeordnete in die künftige Nationalversammlung schicken
müsse, haben jetzt die beste Antwort erhalten. Will Solf etwa noch immer
eine Volksabstimmung? Wir können ihm heute beweisen, daß die Volks-
abstimmung vor 7 Jahren unter der Führung der deutschen Regierung be-
reits vorgenommen worden ist.
Am gleichen Tage veröffentlicht das franz. „Amtsblatt“ Verordnungen
für die vorläufige Verwaltung in Els.-Lothr.; u. a. wird dadurch jeder
Handel mit den Mittelmächten verboten. Die deutschen Gerichtsbeamten sind
bis auf weiteres ihrer Amtsführung enthoben. Die Zuständigkeit der Kriegs-
gerichte wird entsprechend dem franz. Militärgesetz geregelt. Um jedoch Ab-
machungen des Waffenstillstandes ein zuhalten, bleibt vorläufig eine Gerichts-
organisation auf Grund der bisherigen Rechtsprechung bestehen, soweit diese
im Einklang mit den franz. Militärgesetzen funktioniert. Die Eisenbahnen
werden von einem Ausschuß geleitet. Beamte und Arbeiterpersonal bleiben.
im Dienst und werden der französischen Eisenbahnverwaltung unterstellt.
Banken und Kreditinstitute haben per 30. Dezember mitternacht die Bilanz
Europäischer Geschichtskalender. LIXa. 19