Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Frantreich. (Dez. 19.) 293 
19. Dez. (Paris.) Ankunft des Königs von Italien. 
Er ist vom Kronprinzen, dem Ministerpräsidenten Orlando und 
dem Minister des Aeußern Sonnino begleitet. 
Abends gibt Präsident Poincaré zu Ehren des Königs ein Diner, in 
dessen Verlauf Poincaré einen Trinkspruch ausbringt, worin er sagt: 
Die jetzige Größe Italiens ist zum großen Teil auf das unmittelbare und 
persönliche Eingreifen Ew. Maj. bei den Ereignissen zu danken, die die 
früheren diplomatischen Kombinationen zunichte gemacht und zwischen unseren 
beiden Ländern die doppelten Bande des Gefühls und des Interesses ge- 
festigt haben. Selbst damals, als Italien mit den Mittelmächten eine Ver- 
sicherung gegen erneute Angriffe seines Erzfeindes Oesterreich eingegangen 
war, hatte es sich schon im Jahre 1902 freundschaftlich uns zugewandt und 
durch Vereinbarungen, die damals zwischen unseren beiden Regierungen 
unterzeichnet wurden, uns versprochen, sich niemals einem gegen Frankreich 
gerichteten Angriff anzuschließen. Es hat Wort gehalten. An dem Tage, 
wo uns der Krieg erklärt wurde, hat Italien, das schon am 26. Juli gegen 
das unverschämte Ultimatum an Serbien protestiert hatte, öffentlich ver- 
kündet, daß wir alles getan hätten, um einen Konflikt zu vermeiden, und 
den Feinden die Hilfe verweigert, die von ihm verlangt wurde. Es er- 
möglichte uns auf diese Weise, sofort an die Schlachtfront jene bewunderungs- 
würdigen Alpentruppen zu senden, die sich durch vier Jahre durch so viele 
Heldentaten ausgezeichnet haben. Dies war für Ew. Maj. nur die erste 
Etappe. Neun Monate waren kaum verflossen, als unter Ihrer hochherzigen 
Initiative Italien sich an die Seite Frankreichs und Englands stellte mit 
einem Entschlusse, den es in einer Stunde frei faßte, wo das Schicksal der 
Waffen unentschieden war und wo Oesterreich durch verführerische Vorschläge 
versucht hatte, es in einer vorteilhaften Neutralität festzulegen. Seitdem 
haben unsere Truppen heldenmütig Schulter an Schulter gekämpft, in 
der Champagne und in den Argonnen wie an der Piave und auf dem 
Asiagoplateau. Unsere Oberkommandanten vereinbarten die Kampfhand- 
lungen, unsere Seeleute vereinigten ihre Bemühungen, unsere Zivilbevöl-- 
kerungen ertrugen tapfer dieselben Entbehrungen, unsere Länder lernten 
dieselben Leiden kennen, dieselben Hoffnungen und denselben Stolz. Wie 
sollte diese lange Waffenbrüderschaft, die sich der Gemeinsamkeit des Ur- 
sprunges und der Kultur hinzugesellt, nicht zwischen uns in der Zukunft 
eine gegenseitige Achtung schaffen, stark genug, um für immer die Aufrecht- 
erhaltung unserer Intimität zu verbürgen? Italien und Frankreich, im 
Kriege verbündet, werden im Frieden verbündet bleiben. 
Der König erwidert u. a.: Um den Preis der härtesten Opfer sind 
die geheiligten Länder, die preuß. Gewalttätigkeit Frankreich entrissen hatte, 
wodurch der Weltfriede durch nahezu 50 Jahre gefährdet war, endlich in 
den Schoß des franz. Vaterlandes zurückgekehrt. Italien hat das natürliche 
Bollwerk der Alpen und der Adria erobert. Nachdem es die Kinder wieder 
gefunden, die so lange für die Erhaltung ihrer Nationalität gekämpft hatten, 
wird es die für ihre Sicherheit und Existenz unerläßlichen Bedingungen 
sichern können. Sie haben, Herr Präsident, an den Beistand erinnert, den 
Italien Frankreich zu Beginn des Krieges geleistet sowie damals, als es 
die Waffen ergriff an der Seite der Schwesternation in Augenblicken ernster 
militärischer Wechselfälle. In diesem spontanen Schwung, der Italien zum 
Kriege getrieben, sowie in allen anderen Kundgebungen der Politik meines 
Landes werden Sie zweifellos das der italienischen Seele innewohnende 
Gefühl erkennen, das den alten Quellen des Rechtes und der Gerechtigkeit 
entspringt und durch welches wir stets jedem Plan einer gewalttätigen Vor- 
herrschaft widerstrebt haben und stets widerstreben werden, wie sie der Feind
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.