Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

296 fraskreich. (Dez. 27. 31.) 
Ministerpräsident Clemenceau gibt bekannt, die Regierung werde 
auf die verschiedenen Fragen in der Spezialdebatte antworten. 
Am 28. beginnt sodann die Spezialdebatte. Der Vorsitzende des Aus- 
schusses für Auswärtige Angelegenheiten Abg. Franclin-Bouillon legt 
dar, der Ausschuß sei der Ansicht gewesen, daß die Fragen Elsaß-Lothringens 
und des Saarbeckens ein einziges Problem bilden, denn man könne nicht 
zugeben, daß Frankreich nicht die Bergwerke des Saargebietes wieder- 
gewinnen könnte, die Preußen Frankreich im Jahre 1815 weggenommen 
hatte, wie es Elsaß-Lothringen im Jahre 1871 wegnahm. Andererseits sei 
der Ausschuß gegen jede Annexion von Menschen gegen deren Willen; er 
habe aber einhellig erklärt, daß das Gebiet auf dem linken Rheinufer nicht 
mehr einer seindlichen Konzentration gegen Frankreich dienen dürfe. „Kein 
Soldat, keine Festung in der Zone des linken Rheinufers noch in der 
40-Kilometer-Zone auf dem rechten Ufer!“ Was Rußland anlange, halte 
Redner eine Intervention für notwendig, aber sie dürfe keine rein mili- 
tärische sein. Die Verbündeten Frankreichs könnten wegen dessen Opfer in 
reichem Maße dazu beitragen. Frankreich würde durch Kader von Offizieren 
und Freiwilligen mit höherem Sold teilnehmen. 
Minister des Aeußern Pichon stellt anläßlich Anfragen während der 
Debatte fest, daß sich die Regierung in der auswärtigen Politik bemüht 
habe, das Einvernehmen zwischen den Alliierten, das zum Siege geführt 
habe, aufrechtzuerhalten. Er sei ein Anhänger der Oeffentlichkeit von ge- 
schlossenen Abmachungen. Die Regierung nehme den Grundsatz des Völker- 
bundes an, an dessen Verwirklichung sie arbeiten werde. Wir wollen keine 
Annexionspolitik, behalten uns aber volle Freiheit hinsichtlich der Grenzen 
Elsaß-Lothringens vor, da es sich hier nicht um eine Annexion, sondern 
um die Wahrung von Recht und Gerechtigkeit sowie um die Zukunft von 
Elsaß. Lothringen handelt. Der Minister rühmt sodann die Haltung des 
elsaß--lothringischen Klerus. Diese Anerkennung sei jedoch keineswegs mit 
der Frage der Wiederaufnahme der Beziehungen zum Vatikan verbunden, 
und er wolle diese Frage hier nicht aufwerfen. P. fährt sodann fort: 
Deutschland ist zwar besiegt, aber nicht niedergeschlagen. Mit der monarchi- 
stischen Bewegung, die mehr an der Oberfläche haftet als in die Tiefe geht, 
versucht Deutschland nur, die Trümmer seiner Macht zu retten. Die mili- 
tärische Oligarchie hat noch nicht auf die Hoffnung verzichtet, den preuß. 
Militarismus wiederherzustellen. Es muß dafür gesorgt werden, daß dieser 
Militarismus endgültig und unwiderruflich verschwindet. Wir müssen 
uns alle Entschädigungen, Bürgschaften und Wiedergutmachungen sichern, 
ohne die der Sieg der Alliierten nur trügerisch wäre. Das Deutschland 
von morgen kann nicht mehr das Deutschland von gestern sein. Wir 
müssen gegen eine Wiederkehr seiner Angriffe gesichert sein. Oesterreich- 
Ungarn hat sein Schicksal verdient, wenn man an seine Provokationen 
denkt. Wir sind darüber erfreut, daß Böhmen, Südslawien und das österr. 
Polen befreit sind. Unser Sieg muß in seinen Folgen so ausgebaut werden, 
daß es den Besiegten unmöglich ist, den Frieden wieder zu gefährden. Der 
Sieg verleiht Rechte über die Besiegten. Auch die Türkei hat ihre Nieder- 
lage vollkommen verdient. Frankreich hat dort unbestreitbare Rechte zu 
wahren, so am Libanon, in Syrien und in Palästina. Wir sind der An- 
sicht, daß die Abkommen, die zwischen England und uns getroffen worden sind, 
fortbestehen. Ohne Zweifel erkennen wir vollständig die Freiheit der Friedens- 
konferenz an. Wir sind jedoch der Ansicht, daß unsere Abkommen England 
und uns fortgesetzt verbinden. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich mich bemüht 
habe, durch alliierte Abkommen die Lage unserer Grenzen zu regeln. Ueber 
diese Frage und die unserer Rechte in Kleinasien wird der Friedenskonferenz
	        
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