Frankreich. (Dez. 27.—31.) 297
ein Vertrag zur Diskussion vorgelegt werden. P. erklärt, daß die Konferenz
die Frage der deutschen Kolonien lösen werde. Er äußert sich darauf ein-
gehend über das russische Problem. Der Vertrag von Brest Litowsk
stellte einen unberechenbaren Sieg für die Feinde dar. Wie hätten wir
teilnahmslos bleiben können? Alle unsere Interventionen in Rußland
waren gegen Deutschland gerichtet, um seine Truppen dort zurückzuhalten
und ihr allmähliches Eindringen in Rußland zu verhindern. Deshalb gingen
wir nach Archangelsk, an die Murmanküste und nach Sibirien. Nichts da-
von bildete eine Einmischung in die innere Politik Rußlands. Die Ver-
bündeten haben keinerlei Druck ausgeübt, um die Russen zu zwingen, eine
Regierung, welche immer es auch sei, zu wählen. Wir verteidigen uns
selbst in einem Lande, wo wir beträchtliche Interessen haben. Wir stehen
in Archangelsk und in Sibirien, wo wir die transsibirische Bahn gesäubert
haben, um uns die Möglichkeit einer Intervention zu sichern an dem Tage,
wo dies notwendig werden sollte in einem Land, in welchem unsere Volks-
genossen gefährdet werden könnten. Wir haben Truppen in Odessa und
Batum gelandet. Die rumän. Armeen sind wiederhergestellt. Das Vorgehen
der Alliierten bezweckt, die gesunden Teile Rußlands vor der Wirkung des
Bolschewismus zu sichern. Ministerpräsident Clemenceau hat jedoch unseren
militärischen Chefs genaue Befehle erteilt, daß die zur Niederringung des
Bolschewismus erforderliche Anstrengung von russ. Kräften getan werde;
unsere materielle Unterstützung hat einzig den Zweck, ihnen die Organisation
zu ermöglichen, um die wirtschaftliche Einschließung des Bolschewismus zu
erzielen. Es gibt keinen einzigen Mann, der aus Rußland hier eintrifft,
selbst unter den eifrigsten Sozialisten, der mich nicht vor der bolschewikischen
Regierung warnen würde. Alle bitten mich, diesen Seuchenherd zu isolieren.
Ein Friede, der Rußland im Zustande des Bürgerkrieges und mit einer
abscheulichen, fürchterlichen Regierung bestehen ließe, wäre kein Gerechtig-
keitsfriede. Wir wären ständig von dem Wiederausbruche des Krieges be-
droht. P. verliest die Schilderungen von Zeugen der Schreckenshandlungen
der russ. Regierung in Moskau. Fürst Lwow, sagt er, den jedermann achtet,
hat mir erzählt, wie die kaiserliche Familie eine ganze Nacht hindurch ge-
martert worden ist, bevor ihr der Rest gegeben wurde. Jedes ihrer Mit-
glieder, die in einem Zimmer versammelt waren, wurde auf einen Stuhl
gesetzt, mit Bajonettstichen gepeinigt und ermordet. Am nächsten Tag war
das Gemach eine einzige Blutlache. Die Sorge der Regierung wird es sein,
die Interessen der Verbündeten in Einklang zu bringen. Die Eintracht, die
uns den Sieg gebracht hat, muß weiterbestehen und ihre Früchte im Frieden
tragen. In diesen Gefühlen werden die Vertreter Frankreichs den Beratungs-
saal betreten müssen. Sie werden dort das nötige Entgegenkommen zeigen
zugleich mit der Festigkeit, die sie zur Verteidigung der Rechte beweisen
müssen, die unser Land durch seinen Heldenmut erworben hat. Man hat
uns vorgeworfen, daß wir nicht wie die anderen Verbündeten Delegierte
bestimmt haben. Es ist uns aber offiziell keinerlei Bestellung von Bevoll-
mächtigten notifiziert worden. Die Bestellung der franz. Delegierten ist
Sache der Regierung und eine Frage des Vertrauens des Parlaments zur
Regierung. (Beifall im ganzen Hause mit Ausnahme der äußersten Linken.)
In Erwiderung auf eine Anfrage des Abg. Lafont bezüglich Polens
sagt Pichon: Unsere Regierung unterhält Beziehungen mit der poln. Regie-
rung in Paris, die von allen verbündeten Mächten und von allen wichtigen
poln. Gruppierungen anerkannt ist. Sie ist in unseren Augen eine wirkliche
Regierung. Dank ihr haben wir die poln. Bewegung gegen die deutsche Macht
ins Werk gesetzt. Sie steht im Einvernehmen mit der Posener Regierung und
wird morgen auch mit der Warschauer Regierung im Einvernehmen stehen.