Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Die äserreichisch-ungariste Monarchie und die MNachfolgestasten. (April 4. 14.) 27 
und der Krieg sich fortschleppt. Graut ihnen nicht vor dieser Verantwor- 
tung? Was werden deutsche, was werden ung. Mütter dereinst sagen, wenn 
nach dem Frieden die kriegsverlängernde Tätigkeit dieser Männer klar vor 
aller Welt dargelegt werden wird? Noch mehr. Ich brauche den Hinweis 
auf Deutsche und Ungarn gar nicht. Ich habe es schon gesagt: Die Völker 
selbst, welche diese Herren vertreten, denken nicht wie sie. Ich kenne Böhmen 
genau, ich weiß zu unterscheiden zwischen dem tschechischen Volke und ge- 
wissen Führern desselben. Das tschechische Volk, die tschechische Mutter 
denkt nicht wie diese Männer, die Mutter, die für den Sohn, die Frau, die 
für den Gatten bangt, ist international, sie ist auch dieselbe in allen Völkern 
der Monarchie. Das Kriegselend verbindet alle Völker. Alle wollen, daß 
der Krieg ein Ende nehme, aber sie sind verführt, sie werden irregeleitet, 
sie sehen nicht, daß einzelne ihrer Vertreter es sind, die den Krieg und ihr 
Leiden systematisch verlängern. Ich bedaure, daß die Verhältnisse es mir 
so selten ermöglichen, zu den gewählten Volksvertretern zu sprechen. Es ist 
bös für einen Minister des Aeußern, wenn seine Amtsgeschäfte ihn in der 
heutigen Zeit zwingen, mondelang im Auslande zu leben — aber ich ge- 
höre dorthin, wo die Frieden geschlossen werden. Vielleicht, wenn ich mehr 
im Inlande leben könnte, daß ich mit Hilfe der staatstreuen Parteien — 
und Gott sei Dank, wir haben solche — erfolgreicher gegen jene Bestrebungen 
ankämpfen könnte, aber ich appelliere an alle die, die ein baldiges ehren- 
volles Ende des Krieges wollen, sich zusammenzuschließen und gemeinsam den 
Kampf gegen den Hochverrat zu führen. Niemand behauptet, daß die österr. 
Verfassung nicht verbesserungsfähig wäre, und die österr. Regierung ist 
gerne bereit, gemeinsam mit den übrigen kompetenten Faktoren daran zu 
schreiten, dieselbe zu revidieren, aber diejenigen, welche den Sieg der 
Entente erhoffen, um mit ihm ihre politischen Ziele zu realisieren, treiben 
Hochverrat, und dieser Hochverrat ist ein Gift in den Adern des Staates 
und bildet die letzte kriegsverlängernde Hoffnung unserer Feinde. Wenn 
wir dieses Gift ausscheiden, dann ist der allgemeine ehrenvolle Friede näher, 
als die große Oeffentlichkeit ahnt! Ich appelliere an alle! Ich appelliere 
vor allem an die Deutschen und an die Ungarn, die in diesem Kriege 
Uebermenschliches geleistet haben, aber ich appelliere auch an Millionen 
von Bürgern aller anderen Völker der Monarchie, welche staatstreu bis in 
die Knochen sind und nicht denken wie einzelne ihrer Führer. Ein jeder 
Oesterreicher, ein jeder Ungar muß in die Bresche treten. Niemand hat 
das Recht, abseits zu bleiben, es gilt den letzten, den entscheidenden Kampf. 
Alle Mann auf Deck, dann werden wir siegen! 
Die Ausführungen des Ministers finden in deutschen Parteikreisen 
und bei der christl.-soz. Partei uneingeschränkte Billigung; dagegen erregen 
sie bei den Tschechen einen Sturm der Entrüstung. Am 3. protestieren 
die Abg. Stanek und Tusar beim Ministerpräsidenten v. Seidler im Auftrage 
des Präsidiums des Tschechenverbandes gegen Form und Inhalt der Er- 
klärung des Grafen Czernin. Dieser habe sich für Fragen, zu deren Be- 
handlung ausschließlich die Delegationen berufen seien, eine Körperschaft 
gewählt, die schon durch ihre Zusammensetzung hierzu völlig ungeeignet er- 
scheine und auch nicht zuständig sein könne. Die Abg. verlangen die so- 
fortige Einberufung der Delegationen und fügen hinzu, daß sie alle Mittel 
anwenden würden, um dem Grafen Cz. eine gehörige Antwort zu geben. 
Der Ministerpräsident nimmt diese Erklärung zur Kenntnis. 
4. April. Durch eine amtliche Verlautbarung kommt die sog. 
Sixtusbriefaffäre ins Rollen. (Näh. s. im Anh. I.) 
14. April. Rücktritt des Grafen Czernin.
	        
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