Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

310 Ilslien. (Mai 22.—Juni 16.) 
Am 20. wird amtlich mitgeteilt, daß an Stelle des gleichfalls zurück- 
getretenen Unterstaatssekretärs des Munitionsministeriums Bignami der 
Abg. Cesare Nava zum Unterstaatssekretär ernannt wurde. Damit tritt ein 
weiteres Mitglied der klerikalen Partei in das Kabinett ein. 
Am 22. wird durch Regierungserlaß das bisherige Unterstaatssekretariat 
für Lebensmittelversorgung zum Ministerium erhoben und der bish. Leiter 
Crespi zum Minister befördert und ihm der Abg. Nunziante als Unter- 
staatssekretär beigegeben. Der Unterstaatssekretär für das Eisenbahn- und 
Schiffstransportwesen Reggio, der zurücktritt, wird durch Orlando, bish. 
Kommissar für den Bau von Handelsschiffen, ersetzt. Die Erweiterung des 
bish. Unterstaatssekretariats für Lebensmittelversorgung in ein Ministerium, 
die schon lange in Italien erörtert wurde, ist eine Folge des U-Bootkrieges 
im Mittelmeer, durch den die Versorgung Italiens immer schwieriger ge- 
staltet wird. Die gleichzeitig erfolgte Entlassung des Unterstaatssekretärs 
für Seetransportwesen steht damit im engsten inneren Zusammenhang. 
22. Mai. Beschlagnahme der Ernte. 
Ein Regierungsdekret ordnet für Italien die Requisition der gesamten 
Getreideernte, abzüglich der neuen Aussaat und der zum Selbstverbrauch 
der Produzenten notwendigen Mengen, an. 
1. Juni. Einfuhrkontrolle. 
Durch Regierungsdekret wird bestimmt, daß von diesem Tage an die 
Ermächtigung des Schatzministers für die Einfuhr aller Waren ausländi- 
schen Ursprungs erforderlich ist. 
12.—16. Juni. (Kammer.) Allgemeine politische Lage, Budget- 
provisorium, Vertagung. 
Nach einer Eröffnungsrede des Vizepräsidenten Alessio und einer 
kurzen, inhaltsleeren Erklärung des Ministerpräsidenten Orlando gibt Abg. 
Modigliani (Soz.) im Namen seiner Fraktion eine Erklärung ab, in der 
er ausführt: Der Ernst der Stunde erheischt andere Darlegungen, als sie 
der Regierung belieben. Wir stehen unter dem Drucke von Tatbeständen, 
die über das Dasein Italiens entscheiden. Selbst das franz. Parlament hatte 
Gelegenheit, das Kriegsproblem erschöpfend zu erörtern, während Frank- 
reich sich noch in weit schlimmerer Lage befindet als derzeit Italien. Hin- 
gegen wird dem ital. Parlament selbst Wesentlichstes verschwiegen. Im 
April 1917 brach die russische Revolution aus, erklärte Amerika den Krieg 
und kurz danach kamen die angeblichen Friedensbriefe Kaiser Karls. Hiermit 
wurde das ital. Parlament nicht befaßt. Die ital. Regierung muß sich noch 
von der im franz. Parlament gemachten Anschuldigung entlasten, daß Oester- 
reich-Ungarns Friedensvorschläge an Frankreich lediglich durch Italien zu 
Fall gebracht wurden. Das Parlament kann sich mit den ausweichenden 
Redewendungen Sonninos nicht begnügen und muß die volle Wahrheit 
kennen lernen. Gegenwärtig könnten zweckmäßigerweise Friedensverhand- 
lungen eingeleitet werden. Wie im April 1917 ist heute Amerikas Ein- 
greifen ein Argument, das diplomatisch ins Gewicht fallen kann, zumal ja 
behauptet wird, daß der Sieg sicher durch ausgiebiges Eintreffen amerik. 
Truppen erreicht werden wird. Auch ist der ängstliche Hinweis auf Brest- 
Litowsk nicht stichhaltig, denn die Entente ist noch nicht in einer solchen 
militärischen und politischen Verfassung wie damals Rußland. Die Re- 
gierung muß auch damit rechnen, daß Fehler unfähiger Generale und 
militärisches Pech die amerik. Hilfe verspäten und unwirksam werden lassen 
können. Im äußersten Orient könnten auch unbequeme neue Mächtegruppie- 
rungen erwachsen. Die soz. Fraktion wird den Antrag stellen, die Geschäfts-
	        
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