Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

316 Stalies. #(Okt. 7. 12.) 
übereilten Optimismus bestätigen zu können, daß die großen Ereignisse der 
letzten Tage einen gerechten Frieden näher gebracht hätten, und sagt: Ich 
muß indessen hinzufügen, daß ich der neuesten österr. Note (s. S. 53 ff.) keine 
Wichtigkeit beimesse. Für sich betrachtet, ist es offenbar, daß dieses Schrift- 
stück nicht den Wert hat, den man ihm zuschreibt, wenn man es als einen 
Anfang der Friedensverhandlungen betrachtet. Die Note besitzt Wichtigkeit, 
nicht durch das, was sie sagt, sondern durch das, was sie verschweigt. In 
dieser Hinsicht berührt sie sogar das Wesentliche des Weltkonfliktes. Wenn 
man nur nach der Note urteilt, müßte man glauben, daß Oesterreich nichts 
zu wissen scheint von einem im Kriege befindlichen Italien und von heiligen 
national-italienischen Ansprüchen. Die Ereignisse haben die tiefe Wahrheit 
des scheinbaren Widerspruchs erwiesen, nämlich, daß die wahren Pazifisten 
diejenigen sind, welche sich mit aller Anstrengung und entschlossenster Tat- 
kraft auf den Krieg gelegt haben. Der militärische Faktor hat bereits als 
erste Folge politischer und diplomatischer Art das Ausscheiden Bulgariens 
aus der Zahl der feindlichen kämpfenden Staaten herbeigeführt. Wir werden 
zum Frieden kommen, wenn unsere Feinde einen neuen Schritt tun in der 
Erkenntnis, daß die Menschheit das Recht und die Pflicht hat, sich gegen 
diejenigen zu schützen, welche dies furchtbare Morden wollten, und daß das 
Blut von Millionen Menschen nicht nur Rache fordert, sondern die Verwirk- 
lichung der Ideale, für welche es heldenmütig vergossen worden ist. (Einen 
ausführlichen Bericht über die Rede s. in der „Frankf. Ztg.“ v. 5. Okt. 1918, 
2. Morgenblatt.) 
Auf Wunsch Orlandos, der zu einer wichtigen Konferenz nach Ver- 
sailles sich begeben muß, wird die Aussprache über die Regierungserklärung 
zunächst bis 10. Okt., dann auf unbestimmte Zeit vertagt. 
7. Okt. Zum Friedensangebot der Mittelmächte. 
Zu dem Friedensangebot der Mittelmächte (s. Tl. 1 S. 320) 
veröffentlicht die „Ag. Stef.“ einen offiziösen Kommentar, worin es heißt, 
der erste Eindruck, den man von der Note erhalte, sei tiefes Mißtrauen. 
Der Schritt der Feinde habe nur tatsächlichen Wert durch das Eingeständnis 
der Besiegung. Infolgedessen müsse man verhindern, daß sie sich durch diesen 
Schritt der von ihnen anerkannten Niederlage entziehen könnten. Das Ge- 
such um Waffenstillstand müsse von unerläßlichen militärischen Garantien 
begleitet sein. Die Zweifelsgründe würden zudem durch die Rede des deut- 
schen Kanzlers verstärkt, der mit dem Hinweis auf den Friedensvorschlag 
Bedingungen verbinde, die den in den Vorschlägen Wilsons enthaltenen 
nicht entsprächen. Die größte Ruhe sei daher geboten, um zu verhindern, 
daß das Ereignis zu einer spitzfindigen List werde. 
12. Okt. Friedensaufruf der ital. Soz. 
Die sozialistische Kammergruppe erläßt einen Aufruf an die 
Parteigenossen, den die 39 Abg., darunter auch Turati, unterzeichnet 
haben. Er wird zunächst im „Avanti“ und am 17. in der „Stampa“ in 
folgendem Wortlaut veröffentlicht: Arbeiter! Wilson sagte, den Krieg haben 
die Regierungen gebracht, aber den Frieden werden die Völker bringen. 
(15 Zeilen Zensurlücke.] Jetzt ist die Antwort des Präsidenten der Ver. St. 
eingetroffen. (2 Zeilen Zensur.] Hiermit öffnet man den Weg zum Frieden, 
der lang, voll Schwierigkeiten und Tücken sein wird, wogegen man sich 
mit Festigkeit und Klugheit wappnen muß. In allen Ländern werden die 
auf den Krieg eingestellten Interessen (2 Zeilen Zensur] sich durchzusetzen 
suchen. (4 Zeilen Zensur.] Den siegreichen Verband werden die Interessen 
zu den übertriebensten, ungerechtesten Ansprüchen treiben. Alle geheimen 
Gelüste der Revanche und der Zerschmetterung des Feindes werden er- 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.