330 Schweiz. (März 6. 11.)
. 6. März. Fall Ador.
In der zur Ueberprüfung der Neutralitätspolitik des Bundesrats ein-
gesetzten Kommission des Nationalrats hat am 2. Jäger-Baden
Auskunft über ein in der Kommission sowohl wie in der weiteren Oeffent-
lichkeit umgehendes Gerücht verlangt, das behauptet, Bundesrat Ador habe im
Herbst 1917, als er Chef des politischen Departements war, in Verwertung
eines diplomatischen Berichts des damaligen schweiz. Gesandten Haab in
Berlin dem ital. Gesandten in Bern von der bevorstehenden Offensive der
Zentralmächte gegen Italien gesprochen; der schweiz. Gesandte in Rom,
v. Planta, habe in einem späteren Bericht festgestellt, daß die ital. Regierung
dieser Indiskretion große Bedeutung beigemessen habe. Die Kommission er-
suchte den Bundesrat um Untersuchung der Angelegenheit und sofortige
Berichterstattung. — Hierauf gibt Bundespräsident Calonder (am 6.) in
der Kommission eine Erklärung ab, worin er im Namen des Bundesrats
auf Grund der Untersuchung und der Akten erklärt, daß nach der Auffassung
des Bundesrats nicht die geringste Unkorrektheit Adors vorliege. Weder der
Bericht Haabs noch der v. Plantas enthalte die erwähnten Angaben. Der
Bericht Haabs mache nur eine unbestimmte Anspielung auf ein offensichtlich
bevorstehendes militärisches Vorgehen der Mittelmächte, ohne dessen Rich-
tung anzugeben. Der Bericht v. Plantas seinerseits berichte rein vortragend
von den Aussagen eines untergeordneten Beamten in Rom. Alles übrige,
insbesondere der hergestellte Zusammenhang zwischen dem Bericht Haabs
und den Mitteilungen Adors, sei Kombination. (S. auch 21. März.)
11. März. (Bundesversammlung.) Eröffnung der Frühjahrs-
tagung.
Im Nationalrat gibt bei der Besprechung des 8. und 9. bundes-
rätlichen Neutralitätsberichts Kommissionsberichterstatter Walther-Luzern
(kath.-kons.) bezüglich der Affäre Hofmann-Grimm (s. Gesch. Kal. 1917 Tl. 2
S. 552 ff.) namens der Kommission eine Erlärung ab, wonach die Unter-
suchung keine Tatsachen zutage gefördert habe, welche den Nationalrat ver-
anlassen könnten, neuerdings auf die Sache zurückzukommen. In einigen
Blättern war, gestützt auf ein Telegramm des russ. Geschäftträgers in Bern
v. 19. Juni 1917, die Behauptung aufgestellt worden, Bundesrat Hofmann
sei infolge eines Druckes der Entente zum Rücktritt gezwungen worden.
Diese Behauptung erledige sich nach der Ansicht der Kommission von selbst
durch die Tatsache, daß, als die Depesche abgeschickt wurde, die Demission
Hofmanns bereits angenommen war. Bundesrat Hoffmann sei zurückgetreten
einzig deshalb, weil er selbst die äußerst schwierige Lage der Schweiz
gegenüber den Kriegführenden nicht noch mehr erschweren wollte. Der Be-
richterstatter erörtert sodann die von Amerika, England und Frank-
reich in ihren jüngsten Neutralitätsanerkennungen (s. Gesch.Kal 1917
Tl. 2 S. 566) gemachten Vorbehalte, durch die die Anerkennung der Neu-
tralität beschränkt werde. Die Kommission ersuche daher den Bundesrat,
bei den bkteiligten Regierungen nachdrücklich dahin zu wirken, daß die
schweiz. Neutralität bedingungslos anerkannt werde.
Bundespräsident Calonder führt aus, daß die Neutralitätserklärungen
Amerikas, Englands und Frankreichs tatsächlich die Bedingung enthielten,
daß sie die Neutralität anerkennen, so lange die Schweiz selbst in der Lage
sei, die Neutralität aufrechtzuerhalten, und solange sie nicht von anderer
Seite verletzt werde. Der Bundesrat sei über diese neue Form der Neu-
tralitätsanerkennung um so mehr überrascht gewesen, als Frankreich und
England früher die Anerkennung der Neutralität ohne jede Bedingung aus-