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rat einen Aufruf an das Schweizer Volk, in dem es heißt: Wir haben uns
überzeugt, daß sich gewisser Landesteile und namentlich der Stadt Zürich
eine wachsende Beunruhigung bemächtigt hat. Wir sind fest entschlossen,
die vornehmste unserer Pflichten zu erfüllen: Die Ordnung im Lande zu
erhalten und die öffentliche Sicherheit zu schützen. Daher haben wir be-
schlossen, vier Infanterieregimenter und vier Kavalleriebrigaden aufzubieten.
Der Bundesrat appelliert an den Bürgersinn und die Selbstbeherrschung
der Eidgenossen. Er erkennt die Notwendigkeit sozialer Reformen an, erklärt
aber soziale Reformen und Revolution würden in der Schweiz unverein-
bare Gegensätze bilden.
12.—14. Nov. Landesgeneralstreik.
Als Protest gegen die vom Bundesrat (s. 8. Nov.) getroffenen Sicher-
heitsmaßnahmen, die als eine Provokation der Arbeiterschaft bezeichnet
werden, beschließen das soz. Oltener Aktionskomitee, der Vorstand des
schweiz. Gewerbebundes, der Vorstand der soz. schweiz. Partei und die soz.
Nationalratsfraktion (am 10.) den allgemeinen schweiz. Generalstreik.
In dem Aufrufe des Oltener Aktionskomitees wird die derzeitige Landes-
regierung als unfähig bezeichnet, der Zeit und ihren Bedürfnissen
gerecht zu werden. Die Behörden hätten das Recht verwirkt, im Namen
des Volkes zu sprechen. Es sei deshalb die ungesäumte Umbildung der
bestehenden Landesregierung zu verlangen. Die Regierung habe sich auf
folgende Mindestforderungen zu verpflichten: Sofortige Neuwahlen
des Nationalrates auf Grundlage des Proporzes; passives und aktives
Frauenwahlrecht; Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht; Einführung
der 48 Stunden-Woche in allen öffentlichen und privaten Unternehmungen;
Organisation der Armee im Sinne des Volksheeres; Sicherung der Lebens-
mittelversorgung im Einvernehmen mit den landwirtschaftlichen Produzenten;
Arbeiter- und Invalidenversicherung; Staatsmonopol für Import und Export;
Tilgung aller Staatsschulden durch die Besitzenden. Die mobilisierten Truppen
werden aufgefordert, keine Waffengewalt gegen die Streikenden anzuwenden
und Soldatenräte zu bilden. Die Staatsangestellten sollen der zwangs-
weisen Mobilisierung durch die Verweigerung der Leistung von Streikbrecher-
arbeiten entgegentreten.
Demgegenüber erläßt der Bundesrat (am 11.) einen Aufruf an
das Schweizer Volk, worin er die Militäraufgebote sowie die Unterstellung
der staatlichen Angestellten unter die Militärgesetze begründet und den
Willen kundgibt, jede Gewalttätigkeit zu verhindern.
Der Landesgeneralstreik beginnt in der Nacht vom 11. auf den 12.
Doch beteiligt sich nur ein Teil der Arbeiterschaft daran. Die Christlich-
sozialen, Freisinnigen und ein Teil der staatlichen Arbeiter und Angestellten,
besonders in der franz. und ital. Schweiz, halten sich vom Ausstand fern.
Der Eisenbahnverkehr wird fast überall eingestellt. In den größeren
Städten sind starke Militärabteilungen zur Aufrechterhaltung von Ordnung
und Verkehr aufgeboten. In der bürgerlichen und ländlichen Bevölkerung
macht sich eine starke Bewegung gegen den Generalstreik bemerkbar; auch
in der Arbeiterschaft nimmt die Arbeitswilligkeit rasch wieder zu. Der
Bundesrat stellt dem Oltener Aktionskomitee ein Ultimatum und droht für
den Fall, daß der Streik am 14. nicht abgebrochen werde, schärfste Maß-
nahmen, wie die Verhaftung der Führer, der Streikposten usw. an. Darauf-
hin beschließt das Aktionskomitee (am 13.) den Generalstreik um Mitternacht
des 14.115. abzubrechen. Am 15. früh wird in der ganzen Schweiz die
Arbeit wieder ausgenommen.
Gegen die Streikführer wird von den Militärgerichten Untersuchung ein-
geleitet.