Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Die isterreichischungarise Mosnarchie und die MNachfolgestaaten. (Mai 6.—8.) 31 
Am 10. wird eine gemeinsame Kundgebung des Tschechen verbandes 
und des Südslawenklubs veröffentlicht, worin Verwahrung eingelegt 
wird gegen die Vertagung des Reichsrates sowie gegen alle Versuche der 
Regierung, eine Neuregelung längst überlebter und von den Völkern nicht 
anerkannter Verfassungsverhältnisse auf dem Verordnungswege ohne Teil- 
nahme der Tschechen und Südslawen und gegen sie durchzuführen. Ebenso- 
protestieren die beiden Gruppen gegen die angekündigte staatsrechtliche Ab- 
trennung der slowenischen Länder vom gesamten unteilbaren südflawischen 
Volk der Serben, Kroaten und Slowenen sowie gegen das deutsche Vor- 
dringen ans Adriatische Meer. Die tschech. und südsflaw. Abg. würden kein 
„Oktroi“ oder irgendwelche einseitige Verwaltungsmaßregel anerkennen. 
6. Mai. Kaiser Karl genehmigt den Rücktritt des Ministers 
Dr. v. Zolger. 
v. Z. war der slowenische Landsmannminister. Sein Rücktritt hängt 
mit den vom Ministerpräsidenten v. Seidler angekündigten Maßnahmen 
gegen die südflawische Agitation (s. o.) zusammen. 
7. Mai. Im Schlosse Cotroceni wird der Frieden zwischen dem. 
Vierbund und Rumänien unterzeichnet. 
Näh. s. in dem besonderen Abschnitt am Schluß des Kalendariums. 
Aus Anlaß des Friedensschlusses verleiht Kaiser Karl dem Minister 
des Aeußern Baron Burian die ung. Grafenwürde. 
8. Mai. (Ungarn.) Neubildung des Kabinetts Wekerle. 
Nachdem Ende April ein Versuch des bish. Handelsministers Joseph 
Szterenyi, ein Kabinett zu bilden, am Widerstand des Grafen Karolyie 
auf der einen und des Grafen Tisza auf der anderen Seite gescheitert ist, 
betraut König Karl am 5. Mai Dr. Wekerle mit der Neubildung des. 
Kabinetts. In dem diesbezüglichen Handschreiben spricht der Monarch den 
Wunsch aus, daß die Wahlrechtsreform im Sinne seines Handschreibens. 
v. 28. April 1917 (s. Gesch Kal. 1917 Tl. 2 S. 71), nötigenfalls auf Grund. 
von Neuwahlen, baldigst durchgeführt werde. 
Am 8. ist die Neubildung vollendet. Aus dem Kabinett scheiden Justiz- 
minister Vaszonyi, Kultusminister Graf Apponyi, Minister des Innern 
Toth und die beiden Minister ohne Portefeuille Graf Moritz Esterhazy 
und Bela Földes aus. Neu ernannt werden: zum Justizminister Dr. Gustav 
Töry und zum Kultusminister Graf Joh. Zichy. Mit der Leitung des 
Ministeriums des Innern wird der Ministerpräsident betraut. 
Es ist Dr. Wekerle gelungen, mit der Tiszapartei, die über die 
Mehrheit im Abg.-Hause verfügt, eine Verständigung in der Wahl- 
rechtsfrage auf folgender Grundlage zu erzielen: Das Wahlrecht wird.- 
an den Besuch von vier Volksschulklassen und die Kenntnis der ung. Sprache- 
geknüpft. Wer der Staatssprache nicht mächtig ist, muß sechs Klassen be- 
sucht haben. Die Karl-Kreuz-Inhaber müssen irgendeinen ergänzenden 
Rechtstitel aufweisen können. Die Schaffung der Wahlrechtsreform soll bloß 
das erste Kettenglied in einem weitausschauenden Programm sein, das 
wichtige soziale und wirtschaftliche Aufgaben lösen will. Die Konferenz der 
Verfassungspartei (Regierungspartei) billigt (am 7.) dieses Programm 
mit 46 gegen 43 Stimmen. Die Andrassygruppe, bestehend aus un- 
gefähr 40 Mitgliedern, erklärt darauf am 8. ihren Austritt aus dem Ver- 
band der Regierungspartei, der sie bisher angehörte. 
Am 11. entwickelt Ministerpräsident Dr. Wekerle im Abg.-Haus- 
das Programm der neuen Regierung, wobei er betont, die neue Regierung,
	        
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