Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

404 Finnland. Nov. 14.—25., 
14. Nov. Räumung Finnlands von den deutschen Truppen. 
Der Oberbefehlshaber der deutschen Truppen General von der Goltz 
erklärt in dem unter dem Vorsitz des Reichsverwesers versammelten Senat, 
daß er, um eine Berührung der deutschen Truppen mit den zu erwartenden 
Engländern zu verhindern, im Einvernehmen mit dem deutschen Gesandten 
Maßnahmen für die unmittelbare Rücksendung der deutschen Truppen ge- 
troffen habe. 
Am 3. Dez. meldet die deutsche Waffenstillstandskommission aus Spa, 
daß die Entente den in F. befindlichen deutschen Truppen freies Geleite 
nach Deutschland zugesichert hat. Daraufhin verläßt am 6. der erste Trans- 
port deutscher Truppen Hangoe; am 16. verlassen die letzten deutschen Truppen 
Helsingfors. Vor der Abreise finden begeisterte Kundgebungen für Deutsch- 
land statt. 
. Nov. Rücktritt des Kriegsministers. 
Unter Hinweis auf die veränderte politische Lage reicht Kriegsminister 
Thesleff, der gleichzeitig Oberbefehlshaber der finn. Armee ist, sein Abschieds- 
gesuch ein. Th. wurde seinerzeit berufen, um die Organisation der finn. 
Armee nach deutschem Muster durchzuführen. 
25. Nov. Neubildung der Regierung. 
Amtlich wird bekanntgegeben: Auf Grund eines kürzlich zwischen den 
Landtagsparteien getroffenen Abkommens wegen Bildung eines Sammlungs- 
ministeriums und nachdem die Mitglieder der bisherigen Regierung den 
Wunsch ausgedrückt haben, abzugehen, beauftragte der Reichsverweser Pro- 
fessor Ingmann mit der Bildung einer neuen Regierung. Dieser legte als 
Ergebnis der mit einzelnen Personen geführten Verhandlungen folgende Liste 
vor: Regierungschef: Professor Ingmann, Auswärtiges: der ehem. finn. 
Ministerstaatssekretär in Petersburg Enckell, Justiz: Hofgerichtspräsident 
K. Söderholm, Inneres: Landeshauptmann Antti Tulenheimo, Finanzen: 
Bankdirektor Kaarlo Castren, beigeordnet für Finanzen: Professor Vennola, 
Militärwesen: Oberst Wallden, Kultus: Prof. Soininen, Landwirtschaft: 
U. Brander, Lebensmittel: Landeshauptmann K. L. Collan, Handel: 
Ingenieur Stjernvall, Verkehr und öffentliche Arbeiten: Generaldirektor 
Wuolle, soziale Fürsorge: Redakteur Erro Erkko. 
Während in der alten Regierung die Altfinnen vorherrschten, die 
Schweden unvertreten und jungfinnischerseits nur Monarchisten beteiligt 
waren, enthält die neue Regierung außer dem Chef, der Altfinne und Mon- 
archist ist, 3 Altfinn., 6 Jungfinn., 3 Schweden, 6 Monarch. und 6 Republ.; 
läßt also in ihrer Zusammensetzung eine deutliche Linksverschiebung erkennen. 
Die radikale finn. Kleinbauernpartei und die Soz. sind im Kabinett nicht 
vertreten. Keines der Mitglieder der bisherigen Regierung hat in die neue 
Aufnahme gefunden, insofern bedeutet die Liste ein Entgegenkommen gegen 
die Entente, die nur mit einer Regierung verhandeln will, der keine durch 
Beziehungen zu Deutschland mißliebige Persönlichkeiten angehören. Die 
Neubildung erfolgt in stillschweigender Voraussetzung, daß an Stelle des 
bish. Reichsverwesers Svinhufvud General Mannerheim tritt. — Durch 
die Bildung einer neuen Regierung hofft man, innerlich eine wirklich starke 
Regierung zu erhalten, die auch dem Ausland gegenüber mit Festigkeit 
Finnlands Politik auf neue Bahnen leiten kann, wie die kommenden ent- 
scheidenden Zeiten sie fordern. 
Das Programm der neuen Regierung sieht die Erwirkung der An- 
erkennung der Selbständigkeit Finnlands noch vor dem Friedenskongreß 
vor, eine neutrale Außenpolitik, Bewahrung der territorialen Integrität,
	        
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