Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Rußland. (Febr. 1.—10.) 415 
1. Febr. (Transkaukasien.) Zusammentritt des transkaukas. 
Landtages in Tiflis. 
Er ist aus den für die Konst. Versammlung Rußlands (s. S. 408) 
gewählten Volksvertretern gebildet und hat die Aufgabe, die Frage der 
Unabhängigkeit Transkaukasiens grundsätzlich zu entscheiden. (S. 22. April.) 
Das transkaukasische Kommissariat unter Gegetschkori (S. Gesch Kal. 1917 
Tl. 2 S. 781) erklärt sich zum Rücktritt bereit, da seine Aufgabe erfüllt sei, 
bleibt aber auf Ersuchen des Landtages vorläufig auf seinem Posten. Voraus- 
setzung für die innere Ausgestaltung Transkaukasiens ist der Friedensschluß 
mit der Türkei. (S. auch S. 430.) 
5. Febr. Trennung der Kirche vom Staat. 
Die „Petersb. Tel.-Ag.“ veröffentlicht folgenden Erlaß der Volkskom- 
missare über die Trennung der Kirche vom Staat und der Schule 
von der Kirche: Staat und Kirche werden getrennt. Alle auf einem 
gewissen Glaubensbekenntnisse beruhenden Bevorzugungen oder Rechts- 
beschränkungen werden aufgehoben. Das Bekenntnis einer Religion ist 
jedem Bürger durchaus freigestellt. In keinem amtlichen Schriftstücke darf 
eine Angabe über die Religionszugehörigkeit gemacht werden. Die Amts- 
verrichtungen der Staatsbehörden und der übrigen öffentlichen Körper- 
schaften werden ohne religiöse Riten vollzogen. Alle religiösen Riten ge- 
nießen vollkommene Freiheit, soferne sie nicht den bürgerlichen Rechten 
und der öffentlichen Ordnung Eintrag tun. Niemand darf sich unter 
Berufung auf seine religiösen Ueberzeugungen seinen Bürgerpflichten ent- 
ziehen. Ueber die Erlaubnis, eine Bürgerpflicht durch eine andere zu ersetzen, 
hat das Volkstribunal zu entscheiden. Der religiöse Eid wird abgeschafft 
und für unvermeidliche Fälle durch ein feierliches Versprechen ersetzt. Die 
Führung der Matrikeln über Ehen und Geburten geht auf die Zivilbehörden 
über. Die Schule wird von der Kirche getrennt. Der obligatorische Religions- 
unterricht wird abgeschafft. Alle kirchlichen und religiösen Vereinigungen 
genießen kein Vorrecht und keine Unterstützung seitens des Staates und ver- 
fügen über kein Eigentum. Alle Güter, die sie besitzen, werden als Volks- 
eigentum erklärt. Die Gebäude und andere Gegenstände, die für Kultuszwecke 
bestimmt sind, gehen an die religiösen Vereinigungen zu deren unentgeltlichem 
Gebrauch über. 
Am gleichen Tage teilt die „Petersb. Tel.-Ag.“ mit, daß der Rat der 
Volkskommissare beschlossen hat, die Ausfolgung von Mitteln zum Unter- 
halte von Kirchen und Kapellen sowie zur Bestreitung der Kosten kirchlicher 
Zeremonien einzustellen. 
Diese Verordnungen verursachen begreiflicherweise unter der Geistlichkeit 
und den kirchlich gesinnten Kreisen große Erregung. Wie die „Petersb. 
Tel.-Ag.“ mitteilt, hat Patriarch Tichon in den Blättern von Moskau 
einen Hirtenbri ef veröffentlicht, worin er alle gläubigen Bürger auffordert, 
sich zu vereinigen und gegen die Bolschewisten zu erheben, die sich an dem 
orthodoxen Glauben vergriffen. Zum Schlusse schleudert der Patriarch den 
Bannstrahl gegen die Bolschewisten. 
9. Febr. (Estland.) Der Vollzugsausschuß der Sowjets Estlands 
erklärt den Adel für vogelfrei. 
10. Febr. Trotzki erklärt in Brest-Litowsk die Beendigung des 
Kriegszustandes zwischen Rußland und dem Vierbunde. 
Näheres s. in dem besonderen Abschnitt am Schluß des Kalendariums. 
Wie der „Köln. Ztg.“ am 13. von der schweiz. Grenze mitgeteilt wird,
	        
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