Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

416 Rußland. (Febr. 10.) 
richtet Trotzki darüber eine lange Kundgebung an das russ. Vokk, wo- 
rin es heißt: Genossen! Die Friedensverhandlungen sind zu Ende. Deutsch- 
land und Oesterreich wollen über die Gebiete und ihre Bevölkerung, die 
sie sich mit Waffengewalt angeeignet haben, herrschen. Die russ. Volks- 
autorität der Arbeiter und Bauern kann ihre Zustimmung hierzu nicht 
geben. Einen solchen Frieden könnten wir nicht unterzeichnen. Wir wollen 
aber und wir können auch nicht einen Krieg fortsetzen, der durch eine Ver- 
einigung von Machthabern und Kapitalisten heraufbeschworen wurde. 
Mögen die deutschen und österr. Soldaten wissen, unter wessen Führung 
sie stehen, und wozu man sie in den Krieg treibt. Mögen sie auch wissen, 
daß wir uns weigern, gegen sie zu kämpfen. Aus diesen Gründen erklärt 
heute die russ. Abordnung in vollem Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit 
gegenüber dem russ. Volk und den unterdrückten Nationen: Im Namen der 
Regierung der Sowjets, der Volkskommissare und der russ. Republik bringen 
wir den Regierungen und den mit uns im Krieg stehenden Völkern, ebenso 
wie den neutralen Ländern zur Kenntnis, daß wir uns weigern, ein 
Annexionsabkommen zu unterzeichnen, und daß Rußland seinerseits den 
Kriegszustand mit Deutschland, Oesterreich-Ungarn, der Türkei und Bul- 
garien für beendet erklärt. Gleichzeitig erhalten die russ. Truppen den 
Befehl, auf allen Fronten vollständig zu demobilisieren. 
10. Febr. Gefangenenaustauschabkommen. 
Das „WTB.“ meldet den in Petersburg erfolgten Abschluß von Ab- 
kommen zwischen Rußland und dem Vierbund über den baldigen Austausch 
der dienstuntauglichen Kriegsgefangenen (s. Tl. 1 S. 61 f.) Am 15. ver- 
lassen jedoch die Kommissionen der Mittelmächte P., da die russ. Regierung 
die Verhandlungen mit ihnen „tatsächlich vereitelt.“ (S. auch Tl. 1 S. 83.) 
10. Febr. Annullierung der Staatsanleihen. 
Die „Petersb. Tel.-Ag.“ meldet: Folgendes Dekret über die Annul- 
lierung der Staatsanleihen, angenommen in der Sitzung des Haupt- 
vollzugsausschusses der Sowjets v. 3. Febr., wird veröffentlicht: 1. Alle 
Staatsanleihen, die von den Regierungen der russ. Bourgeoisie aufgenommen 
worden sind, werden v. 1. Dez. 1917 (a. St.) ab für ungültig erklärt. Die 
Dezemberkoupons werden nicht mehr bezahlt. 2. Ebenso werden alle 
Garantien ungültig, die von diesen Regierungen für Anleihen verschiedener 
Unternehmungen gegeben worden sind. 3. Alle ausländischen Anleihen 
werden bedingungslos und ohne jede Ausnahme annulliert. 4. Kurzfristige 
Obligationen bleiben in Kraft. Prozente werden nicht bezahlt. Die Obli- 
gationen selbst gelten als Kreditscheine. 5. Minderbemittelte Bürger, die 
annullierte innere Anleihe bis zu 10000 Rubel besitzen, werden durch An- 
teile der neuen Anleihe der russ. soz. föderativen Republik entschädigt. 
6. Einlagen in den staatlichen Sparkassen und deren Zinsen sind unantast- 
bar. Die im Besitz der Sparkassen befindlichen annullierten Anleihen werden 
auf die Schuld der Republik übernommen. 7. Ueber die Entschädigung der 
Genossenschaften und dergleichen werden besondere Bestimmungen aus- 
gearbeitet. 8. Die Leitung der Liquidation der Anleihen hat der Oberste 
Volkswirtschaftsrat. 9. Die Ausführung ist Aufgabe der Staatsbank. 10. Die 
Feststellung der Minderbemittelten erfolgt durch besondere Kommissionen. 
Diese haben das Recht, Ersparnisse im vollen Betrag zu annullieren, die 
nicht auf dem Wege der Arbeit erworben worden sind, selbst wenn sie die 
Summe von 5000 Rubel nicht übersteigen. 
Wie ein Funkspruch aus Petersburg am 19. meldet, haben die Ver- 
treter der mit Rußland verbündeten und neutralen Länder aus 
Anlaß der Annullierung der russ. Staatsschulden einen formellen Protest
	        
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