Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

434 Rußland. (Mai 31.—Juni 7.) 
sammen. Es sind 85 Delegierte mit entscheidender und 109 mit beratender 
Stimme anwesend. Der Vorsitzende des Obersten Rates der Volkswirtschaft 
Rykow eröffnet die Sitzung. Nachdem die Wahl des Präsidiums voll- 
zogen ist, erhält Lenin das Wort. Er weist in seiner Rede auf die Be- 
deutung hin, die der Oberste Rat der Volkswirtschaft im zukünftigen Leben 
erhalten wird: Dieser Organisation ist es beschieden, die Hauptrolle im Lande 
zu übernehmen, sobald der Widerstand der Ausbeuter endgültig gebrochen 
worden ist und das Proletariat gelernt hat, die sozialistische Produktion zu 
organisieren. Der alten Form des Staates ist es bestimmt, abzusterben, 
während der Oberste Rat der Volkswirtschaft zur Blüte und Entwicklung, 
und Uebernahme der Leitung in der neuorganisierten Gesellschaft bestimmt 
ist. Alles das, was wir bisher vom Obersten Rat gesehen haben, gibt uns 
keinen Anlaß, pessimistisch in die Zukunft zu blicken. Wenn wir auch gezwungen 
werden, dieses oder jenes wieder zu ändern, so ist es ganz selbstverständlich, 
denn wir müssen alles lernen und können das nur in der Praxis des Kol- 
lektivismus. In Rußland wird zum erstenmal seit Bestehen der Welt dazu 
geschritten, den Sozialismus zu verwirklichen, und wir haben keinen Vor- 
gänger, an welchem wir lernen könnten. Eins aber wissen wir bestimmt, 
daß der Umbau der Gesellschaft historisch vorherbestimmt ist, eine so große 
Linie einzuschlagen, daß das Privateigentum auf die Mittel der Produktion 
von der Geschichte verurteilt ist und die Ausbeuter der Expropriation unter- 
liegen mußten. 
31. Mai. (Krim.) Kabinettsbildung. 
„Kiewskaja Mysl“ meldet über Odessa, daß das tatarische Par- 
lament (Kuruntai) sich zum prov. Staatsparlament der Krim erklärt und 
die Initiative zur Bildung einer Regierung und einer Volksvertretung mit 
Einschluß anderer Nationalitäten übernommen hat. 
Der Versuch, Diapar Seidamet an die Spitze der Regierung zu stellen, 
scheitert jedoch am hartnäckigen Widerstand der linken bürgerlichen Semstwo- 
kreise. Daraufhin beantragt der deutsche Oberkommandierende General Koch 
den russ. General Sulkewitsch, einen litauischen Tataren, mit der Kabinetts- 
bildung. Das Kabinett, das sich auf die gemäßigten russ. Kreise und die 
deutschen Kolonisten in der Krim stützt, wird Miitte Juni folgendermaßen 
gebildet: General Sulkewitsch: Vorsitz und Krieg, Inneres: Nalbandow, 
Unterricht: Keller, Verkehr: Freemann, Landwirtschaft: Fürst Golitzyn, 
Finanzen: ehem. Direktor der Moskauer Unionbank Graf Tatischtschew, 
Aeußeres: ehem. Botschafter in Konstantinopel Tscharykow, Marine: Ka- 
pitän Gendre. · 
Die Entwicklung beweist, daß die Krimtataren sich als staatenbildende 
Macht nicht durchzusetzen vermochten. Das tatarische Parlament wird auf- 
gelöst. Die Ukraine erhebt auf die Krim Anspruch. (S. Ukr., 5. Juni.) 
5. Juni. Regelung der diplom. Vertretungen. 
Der Rat der Volkskommissare beschließt, die Titel Botschafter, Minister- 
sowie die Titel der anderen diplomatischen Vertreier abzuschaffen und alle 
bei den auswärtigen Staaten beglaubigten Vertreter Rußlands „Bevollmäch- 
tigter Vertreter der sozialistischen russ. Bundesrepublik der Sowjets“ zu 
nennen und in Uebereinstimmung mit dem Grundsatze des Völkerrechies, das 
allen untereinander gleichen Staaten gemeinsam ist, alle bei der Bundes- 
republik beglaubigten diplom. Agenten der auswärtigen Staaten unabhängig 
von ihrem Range gleichfalls als bevollmächtigte Vertreter zu betrachten. 
7. Juni. (Moskau.) Eröffnung des ersten russ. Kongresses der 
Kriegskommissare.
	        
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