Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

440 Kußland. (Juli 4.—10.) 
holten Forderung sind bisher nur die Invaliden von den in Frankreich be- 
findlichen russ. Truppen nach Rußland zurückgeschickt worden. Bis auf den 
heutigen Tag steht unser revolutionäres Sibirien unter der Drohung der 
fremdländischen Einmischung. Am 5. April vollzog sich in Wladiwostok eine 
jap. Landung. Die Truppen befinden sich noch immer dort, doch beginnt auch 
in Japan langsam aber sicher der Kampf um das Recht eines Volkes, über 
sein Schicksal zu entscheiden. Wir sind bereit, den jap. Staatsangehörigen, 
deren Bestreben auf eine friedliche Ausnutzung der natürlichen Reichtümer 
Sibiriens gerichtet ist, einen größeren Anteil an unserem Handels- und 
Industrieleben zuzugestehen. Wir sind bereit, falls hierzu China seine Zu- 
stimmung geben sollte, auf einige unserer Rechte auf einen Teil der ostchin. 
Eisenbahnlinien Verzicht zu leisten und Japan den südlichen Zweig dieser 
Eisenbahnlinien zu verkaufen, sowie ihm auch andere Erleichterungen zur 
Einfuhr jap. Produkte nach Rußland zu gewähren. Wir sind ferner bereit, 
den Handelsvertrag und die Fischfang-Konvention mit Japan zu erneuern, 
die eine Quelle des Wohlstandes des jap. Volkes ist, da die russ. Fische nicht 
nur eines der wichtigsten Nahrungsmittel des Japaners sind, sondern auch 
zur Bewirtschaftung der Reisfelder verwendet werden. In Südchina, das 
von einer mehr aufgeklärten Bevölkerung bewohnt ist, ist eine offenbar 
revolutionäre Gärung zu verzeichnen; wir hörten vor wenigen Tagen von 
den Führern dieser Bewegung das Eingeständnis, daß die bloße Tatsache 
des Bestehens einer sozialistischen Republik in Rußland seit acht Monaten 
den Völkern des Ostens die Gewähr für die Einrichtung einer ähnlichen 
neuen dauernden Staatsform im Osten bietet. Auch im fernen Osten ist ein 
Kampf gegen die dem Volke aufgenötigten geheimen Abmachungen im Gange. 
Die Erklärung Südchinas wegen der Nichtanerkennung des vor kurzem ge- 
schlossenen Bündnisses durch den benachbarten Staat, eines Bündnisses, das 
das chin. Volk des Rechtes beraubt, sein Schicksal zu bestimmen, und das 
das chin. Volk unwiderstehlich in ein blutiges Gemetzel hineintreibt — diese 
offene Erklärung ist uns sowie sämtlichen Demokratien der Welt von den 
Vertretern des revolutionären Chinas zugegangen. Die engl. Regierung 
hat, im Unterschied zu dem Verhalten der franz. Regierung, davon ab- 
gesehen, ihre Grenzen den Vertretern der Sowjetregierung zu schließen; sie 
ist vielmehr in geschäftliche Beziehungen zu dem bevollmächtigten Vertreter 
der russ. Sowjetrepublik, Bürger Litwinow, getreten. Das Recht der Ent- 
sendung und des Empfangs von Kurieren und der Benutzung einer Chiffre 
wurde ihm zugestanden. Als am 5. April die Landung einer jap. Abteilung 
in Wladiwostok erfolgte, wurden jedoch mit dem Einverständnis der engl. 
Regierung auch 50 Engländer gelandet. Zur Zeit, als Rußland am Kriege 
auf seiten der Entente teilgenommen hat, befanden sich in Murmansk 
ständig engl. Kriegsschiffe. Wir haben wiederholt der engl. Regierung die 
Notwendigkeit der Entfernung der Kriegsschiffe von Murmansk vor Augen 
gehalten. Als schließlich die allzulange währende, den Kriegsbedürfnissen 
entsprechende Lage in Murmansk sich in eine permanente offenbare Ver- 
letzung der gegenwärtigen internationalen Stellung Rußlands zu verwandeln 
drohte, forderte das Volkskommissariat für Ausw. Angelegenheiten am 14. Junie 
von England, Frankreich und den Vereinigten Staaten die Entfernung dieser 
Kriegsschiffe. Zehn Tage später landete England in Murmansk eine Ab- 
teitung in der Stärke von 1100 Mann. Dieses bewaffnete Eindringen in 
die Grenzen des Sowjetbereichs beantworteten wir mit der Forderung der 
Entfernung der Landungstruppen und mit der Entsendung unserer Truppen 
in das Murmangebiet. Für die Sowjetregierung bildet die Wiederherstellung 
#rer uneingeschränkten Macht im Murmangebiete eine vitale Notwendigkeit. 
Wir wenden jetzt unsere Bemühungen dieser Aufgabe zu und hoffen, daß
	        
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