Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Rußland. (Juli 6.) 449 
Weiter meldet das „WIB.“ aus Moskau am 7. nachts: Die linken 
Soz.-Rev. haben gestern nacht ein Bulletin herausgegeben, in dem sie mit- 
teilen, daß Graf Mirbach von der Terroristensektion der Linkssoz.-Rev. ge- 
tötet worden sei. Nach einer Mitteilung der Regierung haben die bisher 
verhafteten Führer der linken Soz.-Rev., worunter sich die Spiridonowa 
befindet, zugestanden, daß das Attentat mit Wissen der Parteileitung aus- 
geführt worden ist, um den Bruch des Brester Friedens zu erzwingen. Die 
über den Gesandtenmord angestellte Untersuchung hat weiter ergeben, daß 
das Verbrechen offenbar von langer Hand vorbereitet worden ist. 
Unmittelbar nach dem Gesandtenmord bricht in Moskau ein Auf- 
stand der Linkssoz.-Rev. gegen die Sowijetregierung aus, der von 
ieser jedoch rasch unterdrückt wird. 
Am 7. veröffentlicht die „Prawda“ über die Ermordung des Grafen 
Mirbach einen Aufruf, in dem u. a. folgendes gesagt wird: Gegen 3 Uhr 
nachmittags sind zwei Agenten des russ.-engl.-franz. Imperialismus zum 
deutschen Gesandten Grafen Mirbach auf Grund einer gefälschten Unter- 
schrift des Genossen Dserjinski mit falschen Beglaubigungspapieren vor- 
gedrungen und ermordeten unter dem Schutze dieses Dokuments den Grafen 
Mirbach. Einer dieser Halunken, der diese provokatorische Tat begangen 
hat, die schon seit langem und verschiedentlich in der Sowjetpresse mit der 
Verschwörung der Monarchisten und Gegenrevolutionäre in Zusammenhang 
gebracht worden ist, ist, nach vorhandenen Nachrichten, ein linker Soz.-Rev., 
ein Mitglied der Kommission von Dserjinski, das sich verräterischerweise 
von dem Dienst der Sowjetregierung lossagte und zum Dienst bei Leuten 
überging, die Rußland in einen Krieg zu verwickeln trachten und damit 
die Wiederherstellung der Regierung der Gutsbesitzer und Kapitalisten sichern 
wollen. Rußland befindet sich augenblicklich durch die Schuld von Halunken 
aus den Reihen linker Soz.-Rev., die sich auf den Weg Sawinkows und 
seiner Genossen verleiten ließen, — auf Haaresbreite vor einem Kriege. 
Schon die ersten Schritte der Sowjetregierung in Moskau zur Ergreifung 
des Mörders und der Helfershelfer wurden von den linken Soz.-Rev. damit 
beantwortet, daß sie einen Aufstand gegen die Sowjetregierung begannen. 
Sie besetzten zeitweilig das Kommissariat von Dserjinski, verhafteten den 
Vorsitzenden Dserjinski und das Mitglied Latis, und die hervorragendsten 
Mitglieder der russ. kommunistischen Partei (Bolschewiki). Die linken Soz.- 
Rev. bemächtigten sich sodann der Telephonstation, begannen eine Reihe 
militärischer Handlungen, indem sie mit bewaffneten Kräften einen kleinen 
Teil Moskaus besetzten und die Sowjetautomobile abzufangen begannen. 
Die Sowjetregierung hat als Geiseln alle im großen Theater befindlichen 
Delegierten des fünften Kongresses der Sowjets aus den Reihen der linken 
Soz.-Rev. festgehalten und alle Maßregeln getroffen, um die Pläne der 
weißen Gardisten sofort zu unterdrücken und zu liquidieren. Alle, die den 
Wahnsinn und das Verbrechen einsehen, wodurch Rußland jetzt in einen 
Krieg verwickelt würde, unterstützen die Sowjetregierung. Daran, daß der 
Aufstand schnellstens liquidiert wird, besteht auch nicht der leiseste Zweifel. 
Alle auf ihre Posten! Alle zu den Waffen! Nieder mit den Dienern der 
weißen Garde! « 
Am 9. verbreitet sodann die „Petersb. Tel.-Ag.“ folgende amtl. Mel- 
dung: Am 4. Juli wurde auf dem russ. Sowjetkongreß von der Mehrheit 
mit über zweidrittel Stimmen die Zufriedenheit mit der ausländischen 
Politik des Sowjets der Volkskommissare ausgesprochen, wodurch zugleich 
der Protest gegen eine Erneuerung des Krieges mit Deutschland zum Aus- 
druck gelangte. Die linkssoz.-rev. Partei machte, gestützt auf die einige Tage 
vorher aus Noworossijsk in Moskau eingetroffene Abteilung Matrosen von 
Europêischer Geschichtskalender. LIX2 29
	        
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