Kußland. (Juli 8.—11.) 451
Ueber die Verfolgung der Attentäter durch die Sowjetregierung
meldet das „WTB."“" am 23. Juli, daß nach einer Mitteilung Tschitscherins
an den Kaiserlichen Geschäftsträger bis zum 19. Juli mehr als 200 linke
Soz.-Rev., die an der Ermordung des Grafen Mirbach und an dem Auf-
stand gegen die Sowjetregierung beteiligt waren, erschossen worden sind.
Am 27. Juli meldet die „Petersb. Tel.-Ag.“: Wie von den örtlichen Be-
hörden gemeldet wird, sind Blumkin und andere Teilnehmer an dem
Morde des Grafen Mirbach nach der Ukrainer Grenze geflüchtet; ihre Spur
ist in der Ukraine verloren gegangen. Am 5. Aug. wird in Moskau amtlich
bekanntgegeben, daß der Soz.-Rev. Alexandrow in Moskau hingerichtet
worden ist. (S. auch 28. Nov)
8. Juli. Auf Anordnung Lenins und Trotzkis wird ein ständiger
Kriegsrat zur Bekämpfung der Gegenrevolution ins Leben gerufen.
9. Juli. Austausch der Ratifikationsurkunden zu dem Friedens-
vertrag zwischen Bulgarien und der Sopjetrepublik in Berlin.
11. Juli. (Litauen.) Königswahl.
Das lit. Informationsbüro in Lausanne teilt (am 18.) mit, daß der
lit. Landtag beschlossen hat, die Krone des Königreichs Litauen dem Herzog
von Urach anzubieten, der ein Abkömmling der ehem. kgl. lit. Dynastie
der Mindowe sei. Eine Delegation des lit. Landtags habe dem Herzog von
Urach Mitteilung von diesem Entschluß gemacht. Der Herzog habe das
Anerbieten angenommen. Er werde den Namen Mindowe II. annehmen,
um die Fortsetzung der ehem. Dynastie zu versinnbildlichen.
Zu diesem Beschluß bemerkt die „Nordd. Allg. Ztg.“ am 21. Julie
halbamtlich: Ein Teil des lit. Landesrates hat sich ohne die Zustimmung
Deutichlands nach dem Muster des poln Staatsrates zu einem lit. Staats-
rat konstituiert und dann den Herzog von Urach ohne Wissen der deutschen
Regierung zum König von Litauen gewählt. Die Unabhängigkeit Litauens
wurde seinerzeit von Deutschland nur unter der Bedingung anerkannt, daß
die abzuschließenden Konventionen, darunter natürlich auch die Frage der
Staatsform und der Thronbesetzung, den deutschen Interessen entsprechen.
Daraus folgt, daß alle diese Angelegenheiten nur in enger Fühlungnahme
mit der deutschen Regierung gültig erfolgen können. Es kann also Litauen
nicht das Recht zugesprochen werden, in der Thronfrage eine selbständige
Entscheidung zu treffen, um so weniger, als in dem eigenmächtig gebildeten
Staaterat keine rechtmäßige Vertretung Litauens erblickt werden kann. Die
Nachricht, daß der Herzog von Urach die Krone angenommen habe, ist in-
folgedessen unrichtig; der eigenmächtige Beschluß und Antrag dürften ihn
vielmehr peinlich berührt haben. Auch in der Frage der lit.-sächs. Personal-
union, die immer wieder in der Presse behandelt wird, ist eine Entscheidung
bis jetzt nicht gefallen.
Gegenüber diesen Ausführungen stellt die Vertretung des lit. Landesrats
in Berlin am 10. Aug. folgendes fest: Die Wahl hat am 11. Juli in Wilna
in der Plenarsitzung der Taryba (Landesrat) unter Teilnahme aller Mit-
glieder stattgefunden. Das Präsidium (Dr. Smetona und die zwei Vize-
präsidenten Dr. Schaulys und Staugaitis) hatte an jenem Tage die Frage
der Form des von Deutschland als frei und unabhängig anerkannten Staats
Litauen und des Staatsoberhauptes auf die Tagesordnung gesetzt, wobei
die absolute Mehrheit entscheiden sollte. Nach längeren Debatten stimmte
die überwiegende Mehrheit für eine konstitutionelle erbliche Monarchie.
Hierauf wurde vom Präsidenten der Herzog von Urach als Kandidat für
den lit. Thron aufgestellt. Von den 20 Mitgliedern der Taryba stimmten
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