Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

Kußland. (Aug. 30.—Sept. 2.) 463 
benutzen, und daß deshalb die Sowietregierung, die von dem aufrichtigen 
Wunsch beseelt sei, im vollen Maße die diplom. Unantastbarkeit und die 
Regeln des internationalen Verkehrs einzuhalten, der Möglichkeit beraubt 
sei, diesen Vertretern Aktionsfreiheit zu gewähren. 
Anf. Okt. werden die verhafteten Konsulatsbeamten der Ententemächte 
und Rußlands gegenseitig ausgetauscht. — Am 15. Dez. werden Lockhart, 
Granard u. a. wegen Spionage und Verschwörung gegen die Sowjetregierung 
in die Acht erklärt und zum Tod durch Erschießen verurteilt, falls sie auf 
russ. Territorium angetroffen werden. 
30. Aug. (Litauen.) Abordnung der Taryba bei Staatssekretär 
v. Hintze. (S. Tl. 1 S. 266.) 
1. Sept. Einführung einer Umsatzsteuer. 
Laut Beschluß des Rates der Volkskommissare wird ab 1. Sept. eine 
5proz. Umsatzsteuer für alle Unternehmungen, die unmittelbar an die 
Konsumenten Bedarfsartikel abgeben, eingeführt. Eine versäumte Einzahlung 
zieht eine Geldstrafe von 1 Proz. wöchentlich nach sich. 
1. Sept. (Krim.) Wiederzusammentritt des tart. Parlaments. 
2. Sept. Ratifizierung der Zusatzverträge. 
Der Hauptvollzugsausschuß der Sowjets in Moskau ratifiziert ein- 
stimmig bei zwei Stimmenthaltungen die Zusatzverträge zum Brester Frieden 
(s. 27. Aug.). Anwesend sind ca. 150 Personen. Die endgültige Ratifizierung 
in Berlin erfolgt am 6. (s. Tl. 1 S. 273). 
, Vor der Abstimmung begründet der Volkskommissar des Auswärtigen 
Tschitscherin den Abschluß der Verträge durch eine längere Rede, in 
der er zunächst eine Uebersicht über die Entwicklung der deutsch-russ. Be- 
ziehungen seit dem Brester Frieden gibt. Ferner berichtet er, die deutsche 
Regierung habe mehrmals gegen die Propaganda, die von Moskau aus in 
die Ukraine hineingetragen wurde, und vor allem gegen die Unterstützung 
des Eisenbahnerausstandes in der Ukraine, Einspruch erhoben. „Wir halten“, 
erklärt T., „ein amtliches Auftreten zur Unterstützung der ukr. Streik- 
bewegung, die sich gegen die deutsche Regierung richtet, für unzulässig. Es 
kann aber natürlich keine Rede davon sein, daß wir Privatleute und Ar- 
beiterorganisationen daran hindern, zur Hilfe für die Streikenden Mittel 
zu sammeln, oder daß wir überhaupt russ. Bürger daran verhindern, revolutio- 
näre Gedanken zu entwickeln und auszubreiten. Unter den Forderungen der 
deutschen Regierung sind solche, die über die Grenzen dessen hinausgehen, 
was eine Revolutionäre Arbeiter- und Bauernregierung tun kann. In diesen 
Mißverständnissen zwischen uns und der deutschen Regierung zeigt sich der 
Unterschied zwischen unserem staatlichen Aufbau und dem deutschen.“ Eine 
Hauptquelle von Schwierigkeiten erblickt T. in den noch ungeklärten russ.= 
ukr. Beziehungen. Die Hetmanregierung habe ganz unannehmbare Be- 
dingungen vorgeschlagen. „Die sog. politische Grenze, die sie für die Ukraine 
fordert, geht unmittelbar bei Kursk vorbei, unfern von Woronesch, und 
umsaßt zum Nutzen der Ukraine einen gewaltigen Teil des Donezbeckens, 
wobei sie uns nur ein Gebiet mit 12 Proz. der Produktion des Donezbeckens 
läßt. Ein unüberwindliches Hindernis für irgendwelche politische Armachungen 
mit der Ukraine stellte sich dadurch heraus, daß die Hetmanregierung mit 
der sog. Donregierung Krasnows in Verhandlungen eintrat und sich weigerte, 
die Ostgrenze der Ukraine dort zu bezeichnen, wo sie mit dem Dongebiet 
zusammenstößt.“ Ueber die finn. Ansprüche teilt T. mit, daß die finn. Ver- 
treter in Berlin eine Grenzlinie vorschlugen, die das bisher russ. Küstengebiet
	        
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