Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

468 Kußland. (Sept. 30.) 
Sowjetinstitutionen sind verpflichtet, die Forderungen des R. K. vor allen 
anderen zu beobachten und zu erfüllen. 2. Der R. K. übernimmt die Rechte 
des Kollegiums des Kriegsvolkskommissariats, dessen Mitglieder auch dem 
Rate angehören. 3. Alle Kriegsinstitutionen sind dem R. K. untergeordnet. 
4. Der Volkskommissar des Krieges ist Vorsitzender des R. K. 5. Der Ober- 
kommandierende ist in allen Fragen des strategischen Handelns vollkommen 
selbständig. Seine Befehle werden von einem Mitglied des Kollegiums gegen- 
gezeichnet. Im übrigen genießt der Oberkommandierende die Rechte eines 
Kollegiummitgliedes. 
In der gleichen Sitzung erstattet Trotzki einen ziemlich optimistisch 
gehaltenen Ueberblick über Rußlands außenpolitische Lage, wobei er u. a. 
ausführt: Es kann jetzt keine Rede mehr davon sein, daß in den nächsten 
Wochen eine Katastrophe über uns hereinbrechen wird. Die Blicke der Gegen- 
revolutionäre sind nach Japan und Amerika gerichtet, von wo uns un- 
zweifelhaft eine große Gefahr drohen kann. Aber sie ist von uns durch 
Tausende von Wersten getrennt. Für uns besteht noch die Möglichkeit, den 
ganzen Winter zur Stärkung unserer Macht auszunutzen. Deutschland tritt 
in seiner Eigenschaft als für uns gefährliche Macht einstweilen zurück. Bul- 
garien ist aus dem Bündnis der Mittelmächte ausgeschieden. Ihm folgen 
die Türkei, Rumänien, Oesterreich-Ungarn. Schwerlich wird danach die 
deutsche Regierung die Möglichkeit haben, eine andere Ostpolitik zu treiben. 
Das Ausscheiden Bulgariens aus dem Kriege schwächt Deutschland und 
verringert auf ein Mindestmaß den politischen Terror gegen uns von seiner 
Seite. Als Antwort auf die Schwächung Deutschlands wird die Erhebung 
des franz. Proletariats in die Erscheinung treten. Wir müssen die Engländer 
und Franzosen überzeugen, daß ihr Unternehmen gegen uns nicht nur ein 
ehrloses Verbrechen, sondern auch eine große Dummheit ist. Unser Wider- 
stand im Osten wird eine mächtige Wirkung bis nach Amerika auslösen, 
und wir werden allen unseren Feinden einerseits und allen unseren Freunden 
andererseits zeigen, daß wir eine Macht sind, und daß wir leben wollen. 
Ferner berichtet Redgers, Vorsteher der sozialistischen Propaganda 
in Amerika, über die Lage der Arbeiter in Amerika und Japan: 
Zwei große Kraftantriebe gibt es in Amerika, in dem Wilson als Präsident 
mit Vollmacht fast eines Selbstherrschers ausgestattet ist: Das Beispiel der 
russ. sozialistischen Revolution, die den amerik. Arbeitern den Weg geebnet 
und gezeigt hat, und die Einführung der Militärdienstpflicht, die durch 
Schaffung eines bewaffneten Proletariats den amerik. Kapitalisten gefährlich 
werden wird. Durch die Bewaffnung wird das Proletariat in der Lage sein, 
die Diktatur des Imperialismus gegen eine Diktatur des Proletariats ein- 
zutauschen. In Japan ist gleichfalls der Proletariergedanke rege; da aber 
im Lande die einflußreichen demokratischen Kreise fehlen, verhält sich die 
Regierung den Arbeitermassen gegenüber grausam und frech. Kein Partei- 
leben, keine Agitation, keine Pressefreiheit ist im Land des Mikado zulässig. 
Einzelne Gruppen aber verrichten die revolutionäre Arbeit und protestieren 
gegen die Einmischung Japans in Rußlands Angelegenheiten. Die Ein- 
mischung ist in Japan sehr unpopulär und drückt wie ein schwerer Alp die 
Arbeiter und Bauern. Von Patriotismus und kriegerischer Begeisterung ist 
ar keine Rede. Die russ. Genossen werden da ein dankbares Tätigkeitsfeld 
sinden, denn die meisten jap. Bauern sind entweder Kleinpächter oder ganz 
arm. Das Programm der Sozialisierung des Bodenbesitzes wird sicher einen 
lebhaften Widerhall finden. Es müssen nur die jap. Soldaten in entsprechender 
Weise den Idealen zugeführt werden, um dann auch im Lande der auf- 
gehenden Sonne die Epoche der sozialistischen Klassenrevolution beginnen 
zu lassen. — Volkskommissar Stecklow sagt: Als wir die Referate über
	        
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