Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

490 Ubraine. (April 29.) 
schaftliche Zerrüttung und die Arbeitslosigkeit nehmen mit jedem Tage zu 
und schließlich ersteht vor der einst so reichen Ukraine das drohende Ge- 
spenst der Hungersnot. Bei dieser Lage, die der Ukraine mit einer neuen 
Katastrophe droht, hat sich aller arbeitenden Schichten der Bevölkerung eine 
tiefgehende Empörung bemächtigt, und sie traten mit der kategorischen For- 
derung hervor, sofort eine Regierungsgewalt zu schaffen, die fähig wäre, 
dem Volke Ruhe, Gesetzmäßigkeit und die Möglichkeit produktiver Arbeit zu 
sichern. Als treuer Sohn der Ukraine habe ich beschlossen, auf diesen Ruf 
zu hören und zeitweilig die Regierungsgewalt in vollem Umfange auf mich 
zu nehmen. Durch diesen Erlaß erkläre ich mich zum Hetman der Ukraine. 
Die Regierung des Landes wird mit Hilfe des von mir zu ernennenden 
Ministerkabinetts auf der genauen Grundlage der Gesetze über die prov. 
staatliche Einrichtung des ukr. Staates durchgeführt werden. Die Zentral- 
rada und die Kleine Rada, ferner alle Landkomitees werden mit dem heutigen 
Tage aufgelöst. Die Minister und die Ministergehilfen werden entlassen. 
In kürzester Zeit wird ein Gesetz erlassen werden, welches die Wahlordnung 
für den ukr. Landtag feststellt. Bis dahin werde ich fest über Ordnung und 
Gesetzmäßigkeit im Lande wachen und werde die unverzügliche Ausführung 
aller Regierungsverordnungen verlangen und werde die Autorität der Re- 
gierung aufrecht erhalten, ohne sogar vor den äußersten Maßnahmen halt- 
zumachen. Die Rechte auf Privateigentum als die Grundlagen der Kultur 
und Zivilisation werden in vollem Umfange wiederhergestellt und alle Ver- 
fügungen der früheren ukr. Regierung und ebenso der Prov. russ. Regierung, 
die diese Rechte abschafften oder beschränkten, werden abgeschafft. Es wird 
volle Freiheit für Kauf und Verkauf von Land wiederhergestellt. Nebenbei 
werden Maßnahmen getroffen werden, um Land der Großgrundbesitzer nach 
seinem tatsächlichen Wert zu enteignen, um es den landarmen Ackerbauern 
zuzuteilen. Ebenso werden die Rechte der arbeitenden Klasse auf fester Grund- 
lage gesichert werden. Besondere Aufmerksamkeit wird der Verbesserung der 
rechtlichen Lage und der Arbeitsbedingungen der Eisenbahnarbeiter gewidmet 
werden, die unter ganz besonders schwierigen Umständen ihre verantwortungs- 
volle Arbeit nicht für eine einzige Stunde eingestellt haben. Auf wirt- 
schaftlichem und finanziellem Gebiete wird volle Freiheit des Handels wieder- 
hergestellt und dem privaten Unternehmungsgeist und der privaten Ini- 
tiative weiter Spielraum gegeben. 
Im Anschluß an diese Proklamation werden die Gesete über die prov. 
staatliche Einrichtung des ukr. Staates veröffentlicht. (Den vollen Wort- 
laut der Gesetze s. in der „Nordd. Allg. Ztg.“ 1918 Nr. 229.) 
Gen. Skoropadski, 44 Jahre alt, befehligte im Kriege ein russ. 
Armeekorps; am 6. Okt. 1917 wurde er auf dem ukr. Kosakenkongreß zum 
Ataman des ukr. Kosakenheeres gewählt. 
Der Sturz der Zentralrada ist vor allem durch ihre Stellung zur 
Agrarfrage (s. S. 486) veranlaßt. In der von dem Allukr. Kongreß der 
Ackerbauern in Kiew am 29. angenommenen Entschließung heißt es 
darüber: Wir halten eine Agrarreform für unerläßlich, finden aber, daß 
eine solche nicht als Gegenstand gelegentlicher Experimente der Regierungs- 
organe dienen darf, sondern die Aufgabe der nächsten, unaufschiebbaren 
Arbeit der Gesetzgebung sein muß. Alle Betätigung der ukr. Regierung in 
der Agrarfrage war bisher auf die Ablehnung aller von uns dargelegten 
Forderungen gerichtet und auf die Einführung eines dem ukr. Volke fremden 
Sozialismus, ein Umstand, der zur völligen Zerstörung allen landwirtschaft- 
lichen Lebens im Lande geführt hat. Daher hat die Regierung in den 
Augen des Volkes ihr Ansehen verloren, und die Landbevölkerung glaubt 
nicht, daß sie fähig ist, die Ukraine aus ihrer schwierigen Lage zu besreien.
	        
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