II.
Die österreichisch-ungarische Monarchie
und die Nachfolgestaaten.
1. Jan. (Ungarn.) Schluß der Zeichnung auf die VII. ung.
Kriegsanleihe.
Das Ergebnis übersteigt 3600 Mill. Kr.
6. Jan. (Böhmen.) Generallandtag der tschech. Reichsrats= und
Landtagsabg. von Böhmen, Mähren und Schlesien in Prag.
Es nehmen daran etwa 150 Personen teil, darunter die begnadigten
Abg. Kramarsch, Rasin, Choc, Vojna und Burzival. Nach einer längeren
Ansprache des Vorsitzenden Stanek wird die vorgeschlagene Entschließung
einstimmig angenommen. Sie bekräftigt zunächst alle Erklärungen der tschech.
Abg. im Reichsrat und erinnert an das Memorandum der tschech. Abg. v.
8. Dez. 1870, worin feierlich das Selbstbestimmungsrecht aller Völker pro-
klamiert wird. Sie begrüßt es weiter, daß das neue Rußland den Grund-
satz des Selbstbestimmungsrechtes der Völker unter die Hauptbedingungen
des Friedens aufgenommen hat, in der Weise, daß die Völker durch freie
Wahl über ihre Zukunft entscheiden und beschließen sollen, ob sie einen
selbständigen Staat ausbauen oder ein Staatsganzes in Gemeinschaft mit
anderen Völkern bilden wollen. Die Erklärung mißbilligt, daß der Vertreter
Oesterreich-Ungarus in Brest-Litowsk sich dahin ausgesprochen hat, daß die
Frage der Selbstbestimmung jener Völker, die bisher keine staatliche Selb-
ständigkeit hatten, in einem jeden Staate auf verfassungsmäßigem Wege
gelöst werden soll. Diese Lösung würde nach den zahllosen bitteren Er-
fahrungen des tschecho-slowak. Volkes nichts anderes bedeuten als die völlige
Ablehnung des Grundsatzes der Selbstbestimmung. Die Erklärung erhebt
die bittere Klage, daß das tschecho-slowak. Volk um seine staatsrechtliche
Selbständigkeit und um sein Selbstbestimmungsrecht durch künstliche Wahl-
ordnungen gebracht und daß es überdies der Herrschaft der deutschen Minder-
heit und der deutschen zentralistischen Bürokraten ausgeliefert worden sei.
Da die dualistische Monarchie lediglich ein Mittel zur Unterdrückung in
den Händen der Deutschen und der Magyaren sei und da die Dynastie die
wiederholt gegenüber der tschecho-slowak. Nation eingegangenen Verpflich-
tungen nicht aufrechterhalten habe, so betrachte sich die tschecho-slowak. Nation
von nun an als jeder Verpflichtung gegen die dualistische Monarchie wie
gegen die Dynastie ledig; die tschecho-slowak. Nation erkläre sich zur Herrin
über ihre eigenen Streitkräfte. Die Entschließung gibt der Sehnsucht nach
einem allgemeinen und dauerhaften Frieden Ausdruck, der jedoch nur dann.
dauerhaft sein könne, wenn er die brutale Gewalt, das Uebergewicht der
Waffen, sowie die Vorrechte der Staaten und Völker über andere beseitigt,
die selbständige Entwicklung der großen und kleinen Völker gewährleistet
und namentlich jene Völker befreit, die bisher unter fremder Herrschaft
seufzten. Die Erklärung schließt: Wir Abg. des tschecho-slowak. Volkes er-
Europäischer Geschichtskalender. LIX2. 1