Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

526 Nürkei. (Okt. 30.) 
administrative Verfügungen Ausgewiesenen die Freiheit wiederzugeben und 
an die Wilajets Mitteilungen in diesem Sinne ergehen zu lassen. Wir 
haben einen Gesetzentwurf vorbereitet, den wir Ihnen unterbreiten werden, 
der die allgemeine Amnestie der politischen Verurteilten betrifft. Das Heil 
des Landes, die Ruhe der Nation und ihr Glück haben ihren Bestand einzig 
in Gehorsam gegenüber dem Gesetz und in der Bestrafung derjenigen, die 
es übertreten. Wir werden jede Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Unverant- 
wortlichkeit, weil sie das Verwaltungsgetriebe stören, beseitigen und jeder- 
zeit vor Ihnen erscheinen, um über unsere von diesem Geiste geleiteten 
Handlungen Rechenschaft abzulegen. Was den äußeren Frieden anlangt, 
wird unser Kabinett seinen ganzen Eifer darauf verwenden, um so rasch 
als möglich den äußeren Frieden zu sichern, nach dem unsere Nation in 
all ihren Schichten dürstet. Wir werden mit Aufrichtigkeit einen Frieden 
annehmen, der auf dem von dem Präsidenten der Ver. St. von Amerika 
verkündeten Grundsätzen des Rechtes und der Gerechtigkeit aufgebaut ist. 
Wir sind Anhänger der Grundsätze, die Wilson in seiner Rede am Grabe 
Washingtons dargelegt hat. Wenn zum ersten Male in den internationalen 
Beziehungen die Grundsätze des Rechtes und der Gerechtigkeit angenommen 
und zur Anwendung gelangen werden, wird unser Land von den Er- 
oberungsabsichten fremder Staaten geschützt sein unk eine neue Aera des 
Glücks und der Ruhe für alle seine Teile einsetzen, die die Grundlagen 
der Reformen und der Erneuerung sichern wird. Unsere Regierung wird 
ungesäumt allen Elementen ohne Unterschied des Standes und der Religion 
das Recht gewährleisten, in gleicher Weise die politischen Rechte und die 
Freiheit der Entwicklung zu genießen und in jeder Art an der Verwaltung 
des Landes teilzunehmen. Wir werden die nötigen Aenderungen an unseren 
gegenwärtigen Wahlgesetzen vorschlagen, um die Rechte der Minorität zu 
schützen. Was die arabischen Wilajets anulangt, werden wir trachten, diese 
Frage zu lösen unter Sicherung einer ihren nationalen Bestrebungen ent- 
sprechenden Selbstverwaltung unter der Bedingung, daß das Band zwischen 
ihnen und dem Khalifat sowie dem Sultan erhalten bleibt. 
Die Kammer erteilt dem Kabinett ein fast einstimmiges Vertrauens- 
votum, nur zehn Abg. enthalten sich der Abstimmung. 
30. Okt. Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages mit der 
Entente in Mudros (Insel Lemnos). 
Näheres s. in dem besonderen Abschnitt am Schluß des Kalendariums. 
In einer Unterredung mit dem Vertreter des Konstantinopeler Blattes 
„Teswir-i-Efkiar“ begründet Großwesir Izzet Pascha den Sonderschritt der 
Türkei folgendermaßen: Nach dem Zusammenbruch Bulgariens unternahm 
die Türkei gemeinsam mit den Verbündeten den Friedensschritt. Dann war 
es zu Sonderverhandlungen gezwungen, da Bulgarien vom Feinde besetzt 
war. Die türk. Grenze ist exponiert und Deutschland nicht imstande, die 
versprochene Verstärkung zu senden. Der Sonderschritt wurde dem deutschen 
und dem österr. Botschafter mitgeteilt und von ihnen anerkannt. 
Die „Nordd. Allg. Ztg.“" bemerkt dazu halbamtlich: Das Blatt muß 
die Aeußerung seines Gewährsmannes mihverstanden haben. Wir haben 
keineswegs unsere Zustimmung zu den türk. Sonderverhandlungen gegeben. 
Vielmehr ist der kaiserliche Botschafter in Konstantinopel auf die erste Nach- 
richt von dem Schritte der türk. Regierung beauftragt worden, im Namen 
der deutschen Regierung dagegen zu protestieren. Gewiß befindet sich die 
Türkei in einer sehr schwierigen Lage. Sie wäre aber wohl imstande ge- 
wesen, mit Unterstützung der entsandten deutschen Kräfte die Hauptstadt 
und die Dardanellen eine gewisse Zeitlang gegen einen feindlichen Angriff 
  
  
  
 
	        
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