Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

530 Bulgarien. (Juli 2. —Sept. 7.) 
Am 22. ist das neue Kabinett in folgender Zusammensetzung ge- 
bildet: Vorsitz und Auswärtiges: Malinow, Inneres: Takew, Krieg: 
Sawow (bish. Oberbefehlshaber der 4. Armeei, Finanzen: Ljaptschew, 
Oeffentl. Unterricht: Kosturkow, Justiz: Prof. Fadenhecht, Handel: Prof. 
Danailow, Ackerbau: Madjarow, Oeffentl. Arbeiten: Muschanow, 
Eisenbahn: Prof. Mollow. 
Die Mitglieder des Kabinetts gehören fast alle der demokratischen 
Partei an. Kosturkow ist der Führer der radikalen Partei. (Weitere Daten 
über die Kabinettsmitglieder s. „Nordd. Allg. Ztg.“ 1918 Nr. 318.) Die 
Stambulowisten und die Anhänger Geschows sind im Kabinett nicht ver- 
treten. Die Bildung eines Koalitionsministeriums ist also nicht gelungen 
und das Kabinett verfügt in der Sobranje nur über etwa 30 Sitze. Doch. 
hat es einen starken Rückhalt im Lande und im Heere. Alex. Malinow (geb. 
1867) war bereits 1908— 11 Ministerpräsident. Seinem Kabinett gehörten 
auch Takew, Ljaptschew, Muschanow und Mollow an. 
Ueber die Veranlassung zu dem Rücktritt des Kabinetts Ra- 
doslawow (seit 4. Juni 1913) meldet die „Bulg. Tel.-Ag.“ (am 17.): Der 
Rücktritt ist die Folge einer teilweisen Ministerkrise. Zwei Minister der 
stambulowistischen Gruppe, nämlich der Minister für öffentliche Arbeiten. 
Petrow und der Eisenbahnminister Koznitschky, hatten wegen Meinungs- 
verschiedenheiten in inneren Fragen ihre Demission gegeben. Infolgedessen 
befand sich die Regierung in der Minorität. Obwohl die Sobranje gegen- 
wärtig keine Tagung abhält und die Regierung somit parlamentarische 
Schwierigkeiten nicht zu befürchten hatte, hielt sich Dr. Radoslawow genau. 
an die Vorschriften der Verfassung und bot seine Demission an, um der 
Krone die Möglichkeit zu geben, andere parlamentarische Gruppen zu befragen. 
Am 22. betont der neue Ministerpräsident Malinow gegenüber einem 
Vertreter des „WTB.", daß die Gründe für den Kabinettswechsel aus- 
schließlich in innerpolitischen Schwierigkeiten lagen, wie sie namentlich durch 
die Nahrungsmittelverteilung entstanden seien. In der äußeren Politik habe 
er ein gutes Erbe übernommen, für welches das bulg. Volk wie bisher in 
treuer Waffenbrüderschaft mit den Verbündeten seine ganze Kraft einsetzen werde. 
Das Kabinett Radoslawow hatte seit längerer Zeit im Lande und in 
der Sobranje mit einer starken Opposition zu kämpfen. Stoff für die Agi- 
tation boten gewisse Ernährungsschwierigkeiten, in die Bulgarien, trotzdem 
es vorwiegend ein Agrarland ist, geraten war, sowie einige ungeklärte Fragen 
der auswärtigen Politik (Kondominium in der Norddobrudscha, Maritza- 
frage, ostmazedonische Frage), in denen Dr. Radoslawow nach der Auf- 
fassung gewisser nationalistischer Kreise den bulg. Standpunkt nicht ent- 
schieden genug vertrat. Auf Grund der späteren Ereignisse besteht heute kein 
Zweifel mehr, daß mit dem Rücktritt des deutschfreundlichen Dr. Radoslawow 
und mit der Uebernahme der Leitung der ausw. Angelegenheiten durch den 
ehedem als Russenfreund bekannten Malinow trotz der offiziellen Dementis 
das Abschwenken Bulgariens auf die Seite der Entente seinen Anfang nahm. 
2. Juli. General Protogerow wird an Stelle des zurückgetretenen. 
Generals Popow wieder zum Leiter des Landesverpflegsdienstes ernannt. 
9. Juli. Austausch der Ratifikationsurkunden zu dem Friedens- 
vertrag zwischen B. und Rußland in Berlin. 
15. Juli. Austausch der Ratifikationsurkunden zu dem Friedens- 
vertrag zwischen B. und der Ukraine in Wien. 
7. Sept. (Sofia.) König Ferdinand kehrt aus dem Ausland zurück.
	        
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