Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

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Siegers aufzwingen wollen, so kann doch kein Zweifel mehr darüber be- 
stehen, daß dieses Ziel, angenommen, daß es überhaupt erreichbar ist, ein 
weiteres blutiges und langwieriges Ringen zur Voraussetzung hätte. Die 
für sämtliche Staaten und Völker Europas verhängnisvollen Folgen einer 
solchen Politik würde aber auch ein späterer Siegfriede nicht mehr gut- 
machen können. Nur ein Friede, der die heute noch auseinandergehenden 
Auffassungen der Gegner in einer gerechten Weise ausgleichen könnte, würde 
der von allen Völkern ersehnte dauernde Friede sein. 
In diesem Bewußtsein und unentwegt bemüht, im Interesse des 
Friedens tätig zu sein, tritt nun die österr.-ung. Monarchie neuerlich mit 
einer Anregung hervor, um eine direkte Aussprache zwischen den einander 
feindlich gegenüberstehenden Mächten herbeizuführen. Der ernste Friedens- 
wille breiter Bevölkerungsschichten aller durch den Krieg in Mitleidenschaft 
gezogener Staaten, die unleugbare Annäherung in einzelnen kontroversen 
Fragen sowie die allgemein versöhnlichere Atmosphäre scheinen der k. und 
k. Regierung eine gewisse Gewähr dafür zu leisten, daß ein im Interesse 
des Friedens unternommener neuerlicher Schritt, der auch den auf diesem 
Gebiete gemachten Erfahrungen Rechnung trägt, im gegenwärtigen Augen- 
blicke die Möglichkeit eines Erfolges bieten könnte. Die österr.-ung. Regie- 
rung hat daher beschlossen, allen Kriegführenden, Freund und Feind, einen 
von ihr für gangbar gehaltenen Weg zu weisen und ihnen vorzuschlagen, 
im freien Gedankenaustausch gemeinsam zu untersuchen, ob jene Voraus- 
setzungen gegeben sind, welche die baldige Einleitung von Friedensverhand- 
lungen als aussichtsvoll erscheinen lassen. Zu diesem Behufe hat die k. 
und k. Regierung die Regierung aller kriegführenden Staaten zu einer 
vertraulichen und unverbindlichen Aussprache an einem Orte 
des neutralen Auslandes eingeladen und an sie eine in diesem Sinne 
verfaßte Note gerichtet. Mit einer Note wurde dieser Schritt zur Kenntnis 
des Heiligen Stuhles gebracht und hierbei an das dem Frieden zugewendete 
Interesse des Papstes appelliert. Ferner wurden auch die Regierungen der 
neutralen Staaten von der Demarche verständigt. Das stets enge Ein- 
vernehmen, welches zwischen den vier verbündeten Mächten besteht, bietet 
die Gewähr dafür, daß die Verbündeten Oesterreich--Ungarns, an welche der 
Vorschlag gleicherweise ergeht, die in der Note entwickelte Auffassung teilen. 
Die Note lautet: 
Das Friedensangebot, das die Mächte des Vierbundes am 12. Dez. 
1916 an ihre Gegner gerichtet und dessen versöhnliche Grundgedanken sie 
niemals aufgegeben haben, bedeutet trotz der Ablehnung, die es erfuhr, 
einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte dieses Krieges. Zum Unter- 
schiede von den ersten 2 ½ Kriegsjahren ist von diesem Augenblick an die 
Frage des Friedens im Mittelpunkt der europäischen, ja der Weltdiskussion 
gestanden und hat sie seither in immer steigendem Maße beschäftigt und 
beherrscht. Der Reihe nach haben fast alle kriegführenden Staaten zur Frage 
des Friedens, seiner Voraussetzungen und Bedingungen immer wieder das 
Wort ergriffen. Die Linie der Entwicklung dieser Erörterungen war jedoch 
keine einheitliche und stetige, die zugrunde liegenden Standpunkte wechselten 
unter dem Einfluß der militärischen und politischen Lage, und zu einem 
greifbaren, praktisch verwertbaren allgemeinen Ergebnis hat sie wenigstens 
bisher nicht geführt. Immerhin kann unabhängig von allen diesen Schwan- 
kungen festgestellt werden, daß der Abstand der beiderseitigen Auffassungen 
sich im großen und ganzen etwas verringerte, daß sich trotz des unleug- 
baren Fortbestehens entschiedener, bisher nicht überbrückter Gegensätze eine 
teilweise Abkehr von manchen der extremsten konkreten Kriegsziele zeigt
	        
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