Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

650 Hie Friedeus= und Waffenstilstandoverhandlungen. A. Ver Friede in Gern. 
5. Jan. Ablauf der Zehntagefrist für die Entente. 
Aus Brest-Litowsk wird seitens der Delegationen der Vierbund- 
mächte folgender Funkspruch in deutschem Klartext abgesandt: An die 
russ. Delegation zu Händen ihres Vorsitzenden Herrn Joffe, Petersburg. 
In ihrer Antwort auf die Vorschläge der russ. Delegation haben die Dele- 
gationen des Vierbundes am 25. Dez. 1917 (s. Gesch Kal. 1917 Tl. 2 S. 961 f.) 
in Brest-Litowsk gewisse Leitsätze für den Abschluß eines sofortigen all- 
gemeinen Friedens aufgestellt. Zur Vermeidung einer einseitigen Festlegung 
hatten sie die Gültigkeit dieser Leitsätze ausdrücklich davon abhängig gemacht, 
daß sich sämtliche, jetzt am Kriege beteiligten Mächte innerhalb einer 
angemessenen Frist ausnahmslos und ohne jeden Rückhalt zur genauesten 
Beobachtung der alle Völker in gleicher Weise bindenden Bedingungen 
verpflichten müßten. Mit Zustimmung der vier verbündeten Delegationen 
war darauf von der russ. Delegation eine zehntägige Frist festgesetzt worden, 
innerhalb welcher die anderen Kriegführenden sich mit den in Brest-Litowsk 
aufgestellten Grundsätzen eines sofortigen Friedens bekanntmachen und über 
den Anschluß an die Friedensverhandlungen entscheiden sollten. Die Dele- 
gationen der verbündeten Mächte stellen fest, daß die zehntägige Frist mit 
dem 4. Jan. 1918 abgelaufen und von keinem der anderen Kriegführenden 
eine Erklärung über den Beitritt zu den Friedensverhandlungen bei ihnen 
eingegangen ist. 
7. Jan. (Brest-Litowsk.) Ankunft der russ. Friedensdelegation. 
Ihr Führer ist jetzt der Volkskommissar für Ausw. Angeleg. Trotzki. 
9.— 12. Jan. Plenarsitzungen. 
An den Sitzungen nimmt auch die Delegation der Ukraine teil. 
Staatssekretär v. Kühlmann gibt einleitend einen Ueberblick über 
die Entstehung der Friedensverhandlungen, die einem Wunsche der russ. 
Regierung entsprungen seien, und schildert dann den Gang der bisherigen 
Verhandlungen, wobei er die Gelegenheit benutzt, um die von der „Petersb. 
Tel.-Ag.“ verbreiteten falschen Nachrichten über die Stellungnahme der russ. 
Delegation zu den strittigen Punkten (s. S. 652) auf Grund des Protokolls 
richtig zu stellen. Kühlmann erklärt, es sei ein unabänderlicher Beschluß 
der verbündeten Mächte, eine Weiterführung der Verhandlungen an einem 
anderen Orte abzulehnen, doch seien sie aus Courtoisie gerne bereit, die 
formale Schlußverhandlung und die Unterzeichnung der Präliminarien an 
einem mit der russ. Delegation zu vereinbarenden Orte vorzunehmen. Weiter 
führt Kühlmann aus, daß manche halbamtliche Aeußerung der russ. Regierung 
Zweifel an der Aufrichtigkeit des russ. Friedenswunsches hätte erwecken 
können, aber er wolle die Hoffnung auf eine Verständigung nicht völlig 
aufgeben und zwar hauptsächlich deswegen nicht, weil der Wunsch des russ. 
Volkes nach einem dauernden und gesicherten Frieden bestehe. Die Schwierig- 
keiten materieller Natur halte er nicht für so groß, um ein Scheitern des 
Friedenswerkes und damit voraussichtlich die Wiederaufnahme des Krieges 
im Osten mit seinen unabsehbaren Folgen für gerechtfertigt zu halten. 
Der österr.-ung. Minister des Aeußern Graf Czernin schließt sich 
diesen Ausführungen an und erläutert, daß zunächst technische Gründe eine 
Verlegung des Verhandlungsortes unmöglich machen, daß aber des weiteren 
die Vierbundsmächte nicht der Entente die Gelegenheit geben wollten, am 
neutralen Ort die Verhandlungen zu stören. Denn nachdem die Aufforderung 
der russ. Regierung an ihre Verbündeten zur Teilnahme an den allgemeinen 
Friedensverhandlungen unbeantwortet geblieben sei, könne es sich jetzt nur 
um die Verhandlung eines Separatfriedens zwischen Rußland und den
	        
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