62 Nie isterreicqisc-ungarische Mosarchie und die M#chfolzekuaten. (Okt. 1.—11.)
dies ja wohl nicht verargt werden. Das leiseste Anklingen des Eroberungs-
titels liegt uns ebenso ferne wie der Versuch irgendeiner Kapazitierung. Wir
achten die freie Selbstbestimmung Polens unbedingt und verlangen nur,
daß sie von anderer Seite auch dann geachtet wird, wenn sie in einem
für uns günstigen Sinne ausfallen sollte. Auch die künftige Ausgestaltung
des Verhältnisses Bosniens und der Herzegowina erheischt schon jetzt
alle Sorgfalt und Aufmerksamkeit. Es liegt uns fern, unser gutes Recht
an diesen Ländern preiszugeben. Die Lösung des bosn. Problems wird
nur eine natürliche sein dürfen. Wir müssen uns hierbei vor allem von
der Rücksicht auf die legitimen Wünsche und Interessen der in Betracht
kommenden Volksstämme leiten lassen, dabei aber auch die österr. Interessen
wahrnehmen. Hierbei müssen wir uns zum mindesten versichern, daß
Einrichtungen getroffen werden, wie sie den Bedürfnissen der Monarchie
entsprechen. Die Angliederung an Kroatien-Slawonien, allenfalls an Dal-
matien, wäre ein solcher Weg. Es handelt sich vorläufig nur um vor-
bereitende Schritte. Das entscheidende Wort werden die Gesetzgebungen zu
sprechen haben. Jedenfalls wird nur eine Lösung in Betracht kommen, die
auf verfassungsmäßigem Wege erfolgt und der Selbstbestimmung entspricht.
Nach Erörterung der geplanten finanziellen Maßnahmen appelliert der
Ministerpräsident an das Haus, die vorliegenden Steuervorlagen raschest
zu verabschieden. Dies sei die Voraussetzung für die Erledigung des anderen
Arbeitsprogramms, der Fortführung der sozialen Gesetzgebung, der Sorge
für den Mittelstand, die Staatsangestellten und andere öffentliche Funk-
tionäre. Nachdem v. H. das Ernährungsproblem erörtert hat, bespricht er
schließlich das Autonomieproblem der BVölker. Neben dem Gesichts-
punkte der unversehrten Parität für alle Völker müsse bei allen Fragen
der nationalen Autonomie auch der Gesichtspunkt der Sicherung des Ge-
meinsamen festgehalten werden im Sinne einer die Völker umfassenden, in
ihrem Interesse wirkenden und ihre Zwecke fördernden Organisation. Das
letzte Wort der nationalen Autonomie müsse bald mit Klugheit und Energie
gesprochen werden, aus der gemeinsamen Ueberzeugung und dem Ein-
vernehmen aller beteiligten Völker heraus. Die Regierung werde diese
große, aber aussichtsreiche Arbeit sorgfältig vorbereiten und einleiten. Ihr
Ziel könne sie nur durch das Zusammenwirken aller Faktoren der Gesetz-
gebung erreichen. Der leitende Grundsatz müsse sein, allen Volksstämmen
durchaus im Geiste voller Gleichberechtigung innerhalb der durch das Inter-
esse der Gesamtheit gezogenen Schranken auf ihrem Siedlungsgebiete die
Selbstbestimmung in nationalen und kulturellen Angelegenheiten zu sichern.
Dem Hause liegen eine Reihe Anträge der verschiedenen Parteien
zur Friedensfrage u. a. vor. Auch die deutschen Soz. haben einen ins
Einzelne gehenden Friedensantrag eingebracht, dessen Grundlage die An-
wendung des Prinzips der nationalen Selbstbestimmung für die innere
und äußere Politik ist.
Die Aussprache über die Regierungserklärung gibt Gelegenheit, alle
schwebenden politischen Fragen ausgiebig zu erörtern.
Eröffnet wird die Aussprache (am 2.) durch eine Rede des Abg.
Stanek (Tscheche), der in schärfster Form den tschecho-slowak. Staats-
gedanken vertritt und die heftigsten Ausfälle gegen Deutschland richtet. —
Abg. Waldner (Deutsch-nat.) weist die Rede Staneks als Verrat und scham-
losen Staatsbruch zurück und erklärt: Wir werden im gemeinsamen Ver-
teidigungskampf, im Bewußtsein der Gerechtigkeit unserer Sache, mit voller
Kraft ausharren, untrennbar vereint mit unseren Bundesgenossen. —
Abg. Korosec (Südslawe) führt aus, Frhr. v. Hussarek komme mit der
nationalen Autonomie zu spät; es gäbe keine Künste der Welt mehr, welche