Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

64 Vie österreithisch-ungarische, Monarchie und die Uatchfelgestaaten. Okt. 4.) 
bis zum Aeußersten zu verteidigen. In diesem weltgeschichtlichen Augenblicke 
dürfen wir aber doch der Hoffnung Ausdruck geben, daß der gesamten 
Menschheit solche letzte furchtbare Entscheidung erspart bleiben und daß sie 
aus der Zeit unsäglichen Leidens durch das Tor der Versöhnung, das wir 
weit aufgemacht haben, in eine schönere Zukunft hinüberschreiten wird. 
Präsident Dr. Groß erklärt, mag die Stellung der Parteien zur 
Friedensfrage wie immer sein, sie werden sich begegnen in der Genug- 
tuung darüber, daß wir endlich dem Frieden entgegengehen. Daß dieser 
Friede nur ein gerechter und ehrenvoller sein kann, dafür bürgen die Helden- 
taten der verbündeten Heere, dafür bürgt die allgemeine Kriegslage. 
Hierauf beginnt das Haus eine Besorechung innerpolitischer 
Fragen im Anschluß an die Regierungserklärung v. 1., die erst am 11. be- 
endet wird. Sodann vertagt sich das Haus bis zum 22. 
4. Okt. Friedens= und Waffenstillstandsangebot an Wilson. 
(Den Wortlaut s. im Anh. zu den Ver. St.) 
Das Wiener „k. k. Tel.-Korr.-Bur." verlautbart dazu am 6. Okt.: Die 
Blätter erhalten aus unterrichteten Kreisen folgende erläuternde Mit- 
teilungen über den Friedensschritt: Es ist zunächst hervorzuheben, daß 
dieser Schritt Oesterreich-Ungarns, Deutschlands und der Türkei nicht als 
Entschluß aufzufassen ist, der plötzlich unter dem Eindrucke der militärischen 
Ereignisse zustande gekommen wäre. Den Ausgangspunkt der Friedens- 
politik bildet die Note Graf Burians v. Dez. 1916. Der damalige Schritt 
hatte noch einen sehr unbestimmten Charakter. Die Bedingungen waren 
nicht genau umschrieben und nur in großen Zügen angedeutet. Im Laufe 
der Entwicklung ist es nun zu einer Kristallisierung der Bedingungen ge- 
kommen. Im Laufe der Monate Febr., März, April (1917) kamen Worte 
über einen allgemeinen gerechten Frieden, über einen Frieden ohne An- 
nexionen und Kompensationen in Umlauf, in weiterer Folge wurde der 
Gedanke über die Errichtung eines internationalen Schiedsgerichtes, die 
Herabsetzung der Rüstungen erörtert, weiter als notwendiger Grundsatz der 
Gedanke von der Freiheit der Meere proklamiert, sowie schließlich der Grund- 
satz aufgestellt, daß ein Wirtschaftskrieg und wirtschaftliche Vergewaltigungen 
nach dem Kriege verhindert werden müßten. Aus diesen Leitsätzen ist das 
ganze gegenwärtige Friedensprogramm entstanden. Alle diese Punkte wurden 
auch, wie erinnerlich, in Unterredungen und Reden vom Grafen Czernin 
(s. Gesch Kal. 1917 Tl. 2 S. 55 f.) als eine geeignete Grundlage für die 
Friedensverhandlungen angenommen. Diese Punkte fanden schließlich auch 
die Zustimmung des Deutschen Reichstages, so daß die Einheitlichkeit der 
Auffassung der Verbündeten hierdurch zum Ausdruck kam. Es folgte so- 
dann die Friedensnote des Papstes, deren Vorschläge und Grundgedanken 
von uns als annehmbare Grundlage angenommen wurden. Die Entente 
freilich hat die Note des Papstes nicht beantwortet, nur Präsident Wilson 
hat in seiner Note v. 8. Jan. 1918 in seinen 14 Punkten Vorschläge ge- 
macht und Grundsätze proklamiert, die im wesentlichen mit dem Programm 
der Mittelmächte übereinstimmten. Graf Czernin (s. S. 6 ff.) und Graf 
Hertling (s. Tl. 1 S. 19 ff.) haben die Vorschläge Wilsons im großen und 
ganzen, abgesehen von einer Reserve bezüglich gewisser Punkte, als ge- 
eignete Friedensgrundlage bezeichnet. In ähnlichem Sinne haben die De- 
legationen und der Deutsche Reichstag hierzu Stellung genommen. Es ist 
festzustellen, daß es stets Präsident Wilson war, der sich mit einem kon- 
kreten Friedensprogramm befaßte, während die Entente an ihren Erobe- 
rungsabsichten festhielt. Es kam dann der letzte Vorschlag des Grafen Burian 
über eine vorläufige Aussprache der kriegführenden Mächte (s. S. 53 ff.). Der
	        
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