1. Ans deu Gtheimakten des ehem. rufs. Ministeriums des Auswärtigen. 757
Judentums in Rußland im Wege stehen — eine Vernichtung, die auch die
zukünftigen Wahlmänner des russ. Landes nicht wünschen können. Das
Memorandum legt sodann dar, daß gegenüber dem international organi-
sierten Judentum Rußland die Freundschaft mit dem Deutschen Reich und
dem Vatikan pflegen müsse, um gemeinsam den Kampf gegen die anti-
monarchische und antichristliche Bewegung in Europa zu führen. Das
Memorandum schließt: Was Deutschland anbetrifft, so kann eine noch engere
Annäherung seiner Regierung an Rußland, als diejenige, die sich aus dem
Protokoll v. 1. März 1904 über den Kampf mit den Anarchisten ergibt, nur
volle Zustimmung in Berlin finden, denn es kann nicht zweifelhaft sein,
daß der erste Staat, der nach Rußland den Kampf mit der sozialrevolutio-
nären Partei zu führen haben wird, Deutschland ist. Seine Regierung und
seine Gesellschaft konstatieren bereits heute mit großer Unruhe, daß die
russischen Ereignisse auf die sozialdemokratische und die Arbeiterfrage zurück-
gewirkt haben, ganz abgesehen von der speziellen Wirkung auf die regierungs-
feindliche Bewegung in den polnischen Provinzen Preußens. Dementsprechend
halten es die westeuropäischen Sozialisten der verschiedenen Nationalitäten
nicht mehr für nötig, zu verhehlen, daß ihre Partei bereits im Jan. 1906
beschlossen hatte, in Deutschland eine regierungsfeindliche Bewegung hervor-
zurufen, die ihren Höhepunkt am 1. Mai 1906 erreichen sollte. Sie sollte
in Preußen und Sachsen unter derselben Losung des allgemeinen und
gleichen Wahlrechts beginnen. Es ist wohl kaum zu bezweifeln, daß dieser
Bewegung dieselben obenerwähnten internationalen Ziele und Erwägungen
prinzipiellen Charakters zugrunde liegen, — d. h. dieselben antichristlichen
und antimonarchischen Faktoren, die in der russischen revolutionären Be-
wegung wirkten und noch wirken. Wenigstens bemerkt die „Deutsche Tages-
zeitung“", die sich die Organisation des Kampfes gegen die im Anzuge
befindliche alleuropäische Revolution zur speziellen Aufgabe gemacht hat,
daß die aufrichtigsten Publizisten sozialrevolutionärer Richtung bereits
heute unverhohlen die Hoffnung aussprechen, daß die russische regierungs-
feindliche Bewegung gewissermaßen nur ein Vorspiel zu dem alleuro-
päischen sozialen Umschwung sei, der unter anderm das monarchische
Regime Europas vollständig vernichten wird. Von diesem Gesichtspunkte
aus kann man nicht umhin, in allem oben Gesagten nur einzelne Erschei-
nungen der Durchführung des allgemeinen nicht nur Rußland bedrohenden
revolutionären Planes zu erblicken, dessen Ziel nach der Formel des be-
kannten Liebknecht darin besteht, im politischen Regime — der Republik,
im wirtschaftlichen — dem Sozialismus, und im religiösen — dem Abheis-
mus zur Herrschaft zu verhelfen. Alle obigen erwähnten Erwägungen
lassen keinen Zweifel daran, daß ein aufrichtiger und vertraulicher Meinungs-
austausch zwischen uns und den leitenden Kreisen Berlins und Roms
dringend notwendig ist. Es wäre erwünscht, den ersten Schritt nach dieser
Richtung hin einstweilen auf einen ganz vertraulichen Meinungsaustausch
mit der deutschen Regierung zu beschränken, um die Hauptpunkte des zu-
künftigen Aktionsprogrammes festzulegen. — Der Zar versah das Memo-
randum mit folgender Resolution: „Es ist sofort zu den Verhandlungen
zu schreiten. Ich teile die hier geäußerten Ansichten vollständig.“
4. Russisch-englische Konvention v. 18. 31. Aug. 1907 über ihre
asiatischen Interessen. (Ruff. „Rotb.“' IV Nr.55, „Dokumente“ S. 21 sf.)
Die Konvention zerfällt in ein Einvernehmen betr. Persien, eine
Konvention betr. Afghanistan, sowie Verfügungen betr. Tibet,
die zusammen eine Verständigung über die russ.-engl. Interessen auf dem
asiatischen Kontinent zum Ziele haben. Die Konvention wurde in St. Peters-