2. Zur Schuldfrage am Ausbruch des Weltkrieges. 761
in der ausgesprochen werde, daß die serb. Regierung der großserbischen
Bewegung vollkommen fernstehe und sie mißbillige. 2. Die Einleitung einer
Untersuchung gegen die Mitschuldigen an der Mordtat von Serajewo und
Teilnahme eines österr. Beamten an dieser Untersuchung. 3. Einschreiten
gegen alle, die an der großserb. Bewegung beteiligt seien. Für die An-
nahme dieser Forderungen soll eine Frist von 48 Stunden gestellt werden.
Daß Serbien derartige, mit seiner Würde als unabhängiger Staat un-
vereinbare Forderungen nicht annehmen kann, liegt auf der Hand. Die Folge
wäre also der Krieg. Hier ist man durchaus damit einverstanden, daß
Oesterreich die günstige Stunde nutzt, selbst auf die Gefahr weiterer Ver-
wickelungen hin. Ob man aber wirklich in Wien sich dazu aufraffen wird,
erscheint Herrn von Jagow wie Herrn Zimmermann noch immer zweifel-
haft. Der Unterstaatssekretär äußerte sich dahin, daß Oesterreich-Ungarn,
dank seiner Entschlußlosigkeit und Zerfahrenheit, jetzt eigentlich der kranke
Mann in Europa geworden sei, wie früher die Türkei, auf dessen Auf-
teilung Russen, Italiener, Rumänen, Serben und Montenegriner warten.
Ein starkes und erfolgreiches Einschreiten gegen Serbien würde dazu führen,
daß die Oesterreicher und Ungarn sich wieder als staatliche Macht fühlten,
würde das darniederliegende wirtschaftliche Leben wieder aufrichten und
die fremden Aspirationen auf Jahre hinaus niederhalten. Bei der Em-
pörung, die heute in der ganzen Monarchie über die Bluttat herrsche, könne
man wohl auch der slawischen Truppen sicher sein. In einigen Jahren sei
dies bei weiterer Fortwirkung der slawischen Propaganda, wie General
Conrad von Hötzendorf selbst zugegeben habe, nicht mehr der Fall. Man
ist also hier der Ansicht, daß es für Oesterreich sich um eine Schicksalstunde
handele, und aus diesem Grunde hat man hier, auf eine Anfrage aus Wien,
ohne Zögern erklärt, daß wir mit jedem Vorgehen, zu dem man sich dort
entschließe, einverstanden seien, auch auf die Gefahr eines Krieges mit Ruß-
land hin. Die Blankovollmacht, die man dem Kabinettschef des Grafen
Berchtold, dem Grafen Hoyos, gab, der zur Uebergabe eines Allerhöchsten
Handschreibens und eines ausführlichen Promemorias hierhergekommen war,
ging so weit, daß die österr.-ung. Regierung ermächtigt wurde, mit Bulga-
rien wegen Aufnahme in den Dreibund zu verhandeln. In Wien scheint
man ein unbedingtes Eintreten Deutschlands für die Donaumonarchie nicht
erwartet zu haben, und Herr Zimmermann hat den Eindruck, als ob es
den immer ängstlichen und entschlußlosen Stellen in Wien fast unangenehm
wäre, daß von deutscher Seite nicht zur Vorsicht und Zurückhaltung ge-
mahnt worden sei. Wie sehr man in Wien in seinen Entschlüssen schwankt,
beweise der Umstand, daß Graf Berchtold, drei Tage nachdem er hier
wegen eines Bündnisses mit Bulgarien hatte anfragen lassen, telegraphiert
habe, daß er doch noch Bedenken trage, mit Bulgarien abzuschließen.
Man hätte es daher hier auch lieber gesehen, wenn mit der Aktion gegen.
Serbien nicht so lange gewartet und der serb. Regierung nicht die Zeit
gelassen würde, etwa unter russ.-franz. Druck von sich aus eine Genug-
tuung anzubieten.
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Zeischen Oeslerreich und Serbien 8telilen verden, //% nach hiesiger
Ariffassung icesentlieh daron abhiingen, ob Oesterreich sich mit einen
Züchtigung Serbiens beqgnigen oder aueh territoriale Entschädiqungen
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eu lokalisieren, im anderen PFalle dagegen irẽũren grösliere Veriichelungen
ohl undausbleiblieh. Im Interesse der Lohalisierunq des Mrieges irird
die Reichsleitung sofort nach der Cebergabe der österreichischen Note
in Belgrad eine diplomatische Antion bei den Grolimcieliten einleiten.