2. Zur Schuldfrage am Auobruch des Wellkrieges. 765
in der „Deutsch. Allg. Ztg.“ v. 10. Aug. 1919 Nr. 382 veröffentlicht: sämt-
liche Berichte wurden von Dr. P. Dirr in der von ihm im Auftrage des
bayer. Landtags bearbeiteten Sammlung „Bayerische Dokumente zum Kriegs-
ausbruch und zum Versailler Schuldspruch" [München, Oldenburg, 1922)
bekanntgegeben.)
Gegen die Eisnersche Veröffentlichung wurde von seiten der Reichs-
leitung Einspruch erhoben, da sie die Ansicht vertrat, daß eine metho-
dische, auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende Durchforschung des in
den Akten des Ausw. Amtes vorhandenen Materiales über die Ent-
stehungsgeschichte des Krieges vorgenommen und eine vorzeitige Festlegung
des Urteils dahin, daß Deutschland die alleinige Schuld am Kriege trage,
vermieden werden müsse; auch werde das ganze Gleichgewicht erst hergestellt
sein, wenn auch die Pariser und Londoner Archive geöffnet sein werden.
Um die dem Kriegsausbruch vorangegangenen diplomatischen Aktionen fest-
zustellen, erhielt Karl Kautsky im Nov. 1918 von der Reichsregierung den
Auftrag, die Aktenbestände des Ausw. Amtes unter diesem Gesichtspunkt
zu bearbeiten. Gleichzeitig richtete die Reichsregierung an die Ententemächte
eine Note betr. Bildung einer neutralen Kommission zur Untersuchung der
Kriegsschuld. (S. „Deutsch. Allg. Ztg.“ 1918 Nr. 600, sowie Tl. 1 S. 515, 531.)
Zu dem sachlichen Inhalt des Berichts v. 18. Juli, soweit er von
Eisner mitgeteilt wurde, haben auch der frühere Reichskanzler v. Bethmann
Hollweg (s. „Deutsch. Allg. Ztg.“ 1918 Nr. 603) und der frühere Staats-
sekretär des Ausw. Amts Zimmermann (s. „Deutsch. Allg. Ztg.“ 1918
Nr. 607) Stellung genommen.
Die Vor- und Nachgeschichte der von Eisner am 23. Nov. be-
kanntgegebenen Publikation hat P. Dirr unter Mitteilung aller ein-
schlägigen Dokumente a. a. O. sowie in den „Süddeutsch. Monatsheften“
(„Auswärtige Politik Kurt Eisners und der Baperischen Revolution“, Febr.
1922) dargestellt. Daraus ergibt sich, daß Eisner namentlich auf Grund
der Berichte, die von dem banyer. Gesandten in der Schweiz. Prof. Förster,
über seine Besprechungen mit Angehörigen der feindlichen Länder in München
einlangten, zu dem Schlusse kam, ein offenes Bekenntnis der deutschen
Schuld am Kriegsausbruch würde auf die Entente starken Eindruck machen
und ihre Wortführer für Deutschland günstig stimmen. Den letzten Anstoß
scheint ein Bericht des bayer. Vertreters in Berlin, Dr. Muckle, gegeben
zu haben, der die Reichsregierung als völlig unfähig zur Lösung ihrer
großen Aufgaben bezeichnete und eine Sonderaktion des Südens, insbeson-
dere Bayerns anregte, um die durch die Aktionsunfähigkeit Berlins angeb-
lich bedrohten Errungenschaften der Revolution zu retten. Während also
Eisner durch seine Enthüllungen in außenpolitischer Hinsicht bezweckte, die
Entente durch ein offenes Schuldbekenntnis für Deutschland günstig zu
stimmen, sollte innerpolitisch das alte Regime durch Auddeckung seiner ge-
heimen Sünden für alle Zeiten kompromittiert und dadurch der angeblich
bereits in Berlin einsetzenden Reaktion der Garaus gemacht werden. In
der Verlautbarung des Ausw. Amts v. 26. Nov. wurde gesagt (s. Tl. 1 S. 515),
daß die Veröffentlichung Eisners auf eine Anregung zurückging, die ein
Mittelsmann Clemenceaus Prof. Förster gegenüber ausgesprochen habe.
Demgegenüber hat Prof. Förster am 28. Nov. in einer Zuschrift an die
Presse sich dahin geäußert, daß sein Rat, das deutsche Volk über die wahre
Vorgeschichte des Krieges aufzuklären, keiner vom Ausland kommenden An-
regung entstammte. In den Geheimberichten Prof. Försters an Eisner, die
P. Dirr in der oben genannten Dokumentensammlung veröffentlicht hat, ist
auch nicht direkt ausgesprochen, daß Clemenceau die Aktenpublikation Eisners
angeregt hat. Wohl aber entspricht dieses Vorgehen der (sachlich freilich