Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

766 Anhaug I. Biplomstische Euthüllungen. 
völlig unzutreffenden) Auffassung der pazifistischen Kreise um Eisner und 
Förster von der Mentalität der Ententeführer. Eine besonders markante 
Rolle hat der amerikanische Pazifist George D. Herron, ein persönlicher 
Freund Prof. Försters und des damaligen bayer. Finanzministers Prof, 
Jaffé, gespielt, der sich damals in der Schweiz als persönlicher Bekannter 
Wilsons gerierte, während er später zugeben mußte, den Präsidenten nie 
gesprochen zu haben. 
Sehr kennzeichnend für die Stimmung jener pazifistischen Kreise ist 
ein (von P. Dirr in seiner Dokumentensammlung, Abschn. III Nr. 11, ver- 
öffentlichter) Bericht Prof. Försters an Eisner (datiert: Zürich, den 
16. Nov. 1918), worin es eingangs heißt: „Die Ernennung zum prov. Ge- 
sandten des bayer. Volksstaates habe ich ohne Zögern angenommen, weil 
ich mich bezüglich der weltpolitischen Fragen in besonders intimer Gesin- 
nungsgemeinschaft mit Ihnen fühle; ich glaube auch in der gegenwärtigen 
schwersten Krise Deutschlands meine alten und neuen Beziehungen zu den 
maßgebenden Ententekreisen wirksamer verwerten zu können, wenn ich hier 
nicht nur als Privatmann tätig bin. Da ich im gegnerischen Lager wegen 
meines Universitätskonfliktes ein unbedingtes Vertrauen genieße, so dient 
meine Ernennung auch dazu, den Absichten der neuen bayer. Volksregierung 
bei der Entente Vertrauen zu schaffen. Uebrigens habe ich von dem Augen- 
blicke an, an dem ich Sie zu meiner aufrichtigen Freude in der Macht 
wußte, sofort ganz in Ihrem Sinne gewirkt, wobei mir zugute kam, daß 
der intimste Vertrauensmann Clemenceaus, der sich in ununterbrochener 
Verbindung mit den leitenden Männern der Ententestaaten befindet, mich 
hier besuchte und seitdem fast jeden Tag ein Exposé über irgendeine wichtige 
Frage von mir erbittet, das er dann übersetzt und an die genannten Stellen 
sendet. Zufällig hatte ich sofort nach Empfang Ihres Telegrammes wieder 
Gelegenheit, dem Genannten in dreistündiger Unterredung die ganze Sach- 
lage darzulegen, wobei ihm das moralische Element in Ihren Kundgebungen 
besonderes Vertrauen einflößte. Er hat sofort nach dieser Unterredung an 
Clemenceau und an die amerik. Gesandschaft telegraphiert. Sie dürfen als 
schönsten Lohn für alle Ihre Mühen das Bewußtsein haben, daß Sie in 
diesem Augenblick Deutschland gerettet haben. Denn die vorangehenden 
Berliner Kundgebungen vermochten kein Vertrauen zu erwecken.“ (Be- 
züglich des „intimsten Vertrauensmannes Clemenceaus“ teilte die „München- 
Augsb. Abendztg.“ v. 20. Juni 1922 (Nr. 252) nach der „Welt am Montag“ 
mit, daß dieser mit dem elsässischen Arzt Bucher identisch sei, der vor 
dem Kriege das Haupt der französischen Propaganda in Elsaß-Lothringen 
gewesen war. Ueber diese Persönlichkeit und ihre für Deutschland so 
verhängnisvolle Tätigkeit vgl. die Schrift „Zehn Jahre Minenkrieg im 
Frieden. Frankreichs Propaganda in Elsaß-Lothringen.“ Bern, Ferdinand 
Wyß 1918, die im Anhang die in Betracht kommenden Schriftstücke in 
Faksimile enthält.) 
Am 17. Nov. richtete George D. Herron aus Genf an Eisner und 
Jaffé folgendes Telegramm (Dirr a. a. O. Nr. 12): „Ich habe mein 
möglichstes getan, um den Präsidenten Wilson und die Ententeregierungen 
zu überzeugen, daß Ihre Regierung vertrauenswürdig ist. Ihre beiden 
Telegramme, mit meinen Begleitworten versehen, wurden unverzüglich an 
den Präsidenten und an die Ententeregierungen telegraphiert. Vor allem 
rate ich Ihnen dringend, möglichst viele deutsche Staaten zu überzeugen, 
Ihrer Führung zu folgen, zweitens die ersten Schritte zu einem vollen 
und offenen Bekenntnis der Schuld und Untaten der deutschen Regierung 
am Anfang des Krieges und an den Grausamkeiten der Kriegführung zu 
unternehmen. Die moralische Wirkung einer solchen Handlung wäre ge-
	        
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