Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

782 Anhang I. Biplematisete Guthülnnzen. 
3. Lord Haldane über Englands Kriegsvorbereitungen. 
Der „Köln. Ztg.“ 1918 Nr. 1139 wird unterm 10. Dez. aus Amster- 
dam gemeldet: Der ehem. engl. Kriegsminister Lord Haldane äußerte sich 
in einer öffentlichen Rede über den Ursprung des Krieges. Es war 
ihm darum zu tun, die gegen seine Geschäftsverwaltung im früheren Kriegs- 
ministerium gerichteten Vorwürfe zu entkräften, als sei England nicht ge- 
nügend auf den Krieg vorbereitet gewesen. Er führte aus: Die britischen 
Vorbereitungen begannen in Friedenszeiten unter dem Einflusse sachverstän- 
diger Militärpersonen. In der großen Unterhausrede v. 3. Aug. 1914, in 
der Sir Edward Grey den Entschluß Englands ankündigte, in den Krieg 
zu ziehen, sagte er, daß die franz. Regierung i. J. 1906 vertraulich zu ver- 
stehen gegeben habe, es bestehe eine gewisse Besorgnis über einen Angriff 
Deutschlands, in den auch England hineingezogen würde. Bei dieser Ge- 
legenheit erklärten die Franzosen: „Wir verlangen von Ihnen nicht, daß 
Sie sich binden, Sie müssen frei bleiben. Wenn Sie jedoch der Ansicht 
sind, daß für Sie die Möglichkeit besteht, in Ihrem eigenen Interesse 
uns zu Hilfe zu kommen, um einen Einbruch Deutschlands in Nordfrank- 
reich zu verhindern, dann wäre es zweckmäßig, daß Ihre Militärbehörden 
und die unfrigen sich zusammen besprechen könnten, und zwar in verbind- 
licher Weise, damit festgestellt werde, welche Art militärischer Hilfe Sie 
uns gewähren können.“ Nach dem Ergebnis dieser Besprechungen, die auf 
Veranlassung der Franzosen zwanglos geführt wurden, stellte ich den Kriegs- 
minister vor die Frage: „Welches genaue Ziel muß diese militärische Hilfe 
verfolgen, falls sie angerufen wird?" Die Antwort lautete: „Jedes britische 
Heer muß dahin streben, die große franz. Armee zu ergänzen, damit letztere 
stark genug sei, um Deutschland Widerstand zu bieten, falls es versuchen 
sollte, über einen bestimmten Teil Belgiens durchzubrechen.“ Die Franzosen 
glaubten, daß, wenn wir 100000 Mann stellen könnten, die auf dem linken 
Flügel innerhalb 14 Tagen nach Kriegsausbruch angesetzt werden könnten, 
diese schon genügen würden, um die Stellung zu halten. Als jedoch die 
britische Regierung der Sache näher auf den Grund ging, stellte sie fest, 
daß sie weiter nichts vermochte, als 80000 Mann innerhalb 2½" Monaten 
aufzubringen. Darauf erklärten die Franzosen: „Dann liegen wir tot da, 
ehe Sie ankommen.“ Und sie hatten recht. Wir mußten eine kritische Aende- 
rung durchführen. Das geschah unter Leitung von Sir Douglas Haig und 
einer Anzahl anderer Offiziere. Sie arbeiteten Tag und Nacht, um das 
Ziel zu erreichen und unser Heer zum erstenmal in der Geschichte in 
Friedenszeiten auf Kriegsfuß zu bringen, so daß es mit größter Schnellig- 
keit mobil gemacht werden konnte. Schließlich wurden 60 v. H. mehr, als 
die Franzosen angenommen hatten, bereitgestellt, nicht 100000, sondern 
160000 Mann, nicht innerhalb 14, sondern innerhalb 12 Tagen. Wir 
machten am 3. Aug. um 11 Uhr mobil, 36 Stunden, ehe wir den Krieg 
erklärten. Eine Mobilmachung war noch keine Kriegserklärung, und wir 
konnten in Friedenszeiten soviel tun, um bereit zu sein. Innerhalb weniger 
Stunden nach der Kriegserklärung war mit Hilfe der Flotte das Expeditions- 
korps in voller Stärke auf der Fahrt über den Kanal, noch bevor jemand 
darum wußte. Diese Truppen erreichten die Sommestellung innerhalb neun 
Tagen, also in noch weniger als der angesetzten Zeit. 
Gegenüber der Erklärung Lord Haldanes, daß England erst am 3. Aug. 
1914 mit der Mobilmachung begonnen habe, stellt der Vertreter der „Con- 
tinental Times“ fest, daß England tatsächlich am 30. Juli 1914 mobilisiert 
habe. Er könne sich hierfür auf das Zeugnis von Augenzeugen berufen. 
4. Baron Rosen über den Kriegswillen der russ. Regierung.
	        
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