810 Anhang I. Diplomatische Euthüllungen.
franz. Blutopfer ungeheuerlich. Die durch künstliche Anreizmittel hergestellte
Stimmung müsse einen schweren Rückschlag erfahren. Die Mittelmächte
würden durchhalten ohne größere Krisen oder eine Bedrohung ihres staat-
lichen Gefüges. Er sei mit Czernin darin einig, einen ehrenvollen, den
Interessen des Reiches und der Bundesgenossen gerechtwerdenden Frieden
sobald als möglich herbeizuführen, einig auch darin, daß die Friedens-
aktion erfolgen müsse, solange die politische und militärische Initiative noch
in den Händen der Mittelmächte sei. Aber in zwei bis drei Monaten. Die
Entente hoffe immer noch auf ein Wiedererwachen der russ. Aktivität. Daher
würde eine zu stark unterstrichene Friedensbereitschaft jetzt zur Erfolglosigkeit
verdammt sein. Sie würde außerdem den Schein der hoffnungslosen Er-
schöpfung erwecken und den Mut der Gegner heben. Jetzt sei ein all-
gemeiner Friede nur durch Unterwerfung möglich. Das wäre nur zu er-
tragen unter verhängnisvoller Gefahr für die Monarchie. Ruhe, Entschlossen-
heit und nach außen dokumentierte Zuversicht sei mehr denn je geboten.
Der russ. Parteikampf beschränke sich mehr und mehr auf Kriegs= und
Friedensfragen. Nur die Partei werde sich am Ruder halten, die den Weg
des Friedens mit den Mittelmächten beschreite. Russische Sondierungen
müßten ohne zur Schau getragenes Empressement sachlich so behandelt
werden, daß sie zu Friedensverhandlungen führen. Rußland werde den
Schein des Verrates an seinen Verbündeten meiden und einen Modus
suchen, der einen faktischen Friedenszustand herbeiführt, sich äußerlich aber
nur als Präludium des allgemeinen Friedens darstellt. Das Exposé schließt:
„Wie wir 1914 ohne Zögern bündnistreu gewesen sind, so werden wir
auch am Ende des Weltkrieges die Grundlage für einen Frieden finden,
der den beiden verbündeten Monarchien die Gewähr für eine verheißungs-
volle Zukunft bringt.“ (Mitgeteilt in der „Voss. Ztg.“ 1918 Nr. 637 nach
dem „Hamb. Fremdenbl.“.)
3. Ein Friedensschritt Kaiser Karls bei Präsident Wilson im
Febr. 1918.
Kaiser Karl richtete am 17. Febr. 1918 durch Vermittlung eines
neutralen Staatsoberhauptes an Präsident Wilson folgende Mitteilung:
„In seiner Rede v. 12. Febr. hat der Herr Präsident der Ver. Staaten vier
Grundprinzipien als Vorbedingung einer zu erhoffenden Einigung auf-
gestellt. Meine Stellungnahme zu diesen vier Grundsätzen kann ich folgender-
maßen kennzeichnen: Im Punkt 1 verlangt der Herr Präsident nach der
hier vorliegenden deutschen Uebersetzung, „daß jeder Teil einer endgültigen
Vereinbarung auf der Gerechtigkeit in dem bestimmten Falle und auf einem
solchen Ausgleiche aufsgebaut sein muß, von dem es am wahrscheinlichsten
ist, daß er einen Frieden, der dauernd ist, herbeiführen wird“. — Diesen
Leitsatz nehme ich an. Ein jeder auf ethischer Höhe stehende Mensch muß
eine Lösung wünschen, welche einen dauernden Frieden verbürgt und nur
ein gerechter, die entgegengesetzten Interessen ausgleichender Friede kann
eine solche Lösung darstellen.
Punkt II und III gehören zusammen und besagen, „daß Völker und Pro-
vinzen nicht von einer Staatsoberhoheit in eine andere herumgeschoben
werden, als ob es sich lediglich um Gegenstände und Steine in einem Spiele
handelte, wenn auch in dem großen Spiele des Gleichgewichtes der Kraft,
das nun für alle Zeiten diskreditiert ist, daß jedoch jede Lösung einer Ge-
bietsfrage, die durch diesen Krieg aufgeworfen worden ist, im Interesse und
zugunsten der betroffenen Bevölkerungen und nicht als Teil eines bloßen
Ausgleiches oder Kompromisses der Ansprüche rivalisierender Stellen ge-
troffen werden müsse"“. Die Gebietsfrage wird sich, wie ich glaube, sehr