Anhang II. Uachträge. 821
dann weiter Schlag auf Schlag abgespielt hatte, war nur geeignet er-
schienen, um dieser Auffassung des Generals Gröner recht zu geben. Dazu
weiter ein Anruf des Prinzen Max von Baden, daß der Bürgerkrieg un-
vermeidlich wäre, wenn Seine Masestät die Abdankung nicht in den nächsten
Minuten bekanntgäbe. Mit diesen Botschaften waren der Generalfeld-
marschall, General Gröner und Exzellenz von Hintze in den Garten zum
Kaiser geeilt — und hierüber hielten sie ihm nun, während Graf von
der Schulenburg mich über den Stand der Dinge informierte, Vortrag.
Mit meinem Chef begab auch ich mich jetzt zum Kaiser. In einer
Gruppe von Perren stand er im Garten. Unvergeßlich für alle Zeiten ist
mir das Bild dieses Halbdutzend Menschen in ihren grauen Uniformen
vor den vom späten Herbst gezeichneten welken, entfärbten Blumenbeeten.
Kein Mensch sonst und kein Laut. Nur rings weit in der Runde der an-
steigende Kessel des Bergwaldes in seiner späten nebelüberhangenen Pracht
aus fahlem letzten Grün, aus Rostbraun, Gelb und Rot in allen Stufen.
Nicht anders, als ob er in erregtem Auf- und Niedergehen mit ihnen ein-
gehalten hätte, stand er da. Und leidenschaftlich aufgerührt mit heftig
malenden Bewegungen der Rechten redete er auf die Nächsten ein: auf
General Gröner, Erxzellenz von Hintze — dazwischen streifte sein Blick
den Generalfeldmarschall, der schweigend in der Ferne nickte, den greisen
Generaloberst von Plessen. Jetzt bemerkte mich mein Vater, winkte mich
heran und trat mir ein paar Schritte entgegen. Und nun, da ich ihm
gegenüberstand, konnte ich erst erkennen, wie verstört seine Züge waren,
wie es in dem hager und gelb gewordenen Gesichte zuckte und flatterte. Kaum
Zeit ließ er mir, den Generalfeldmarschall und die Herren der Umgebung
zu begrüßen, da wendete er sich schon an mich, und während die anderen
sich ein wenig zurückgezogen und General Gröner nach dem Hause zu ab-
ging, überstürzten, übersprudelten mich schon seine Worte. Tatsachen schüttete
er rückhaltlos von mir aus, wiederholte manches von dem, was mir mein
Chef soeben kurz berichtet hatte, ergänzte es mit anderem, ließ mich noch
tiefer in das Bild einer aus Haltlosigkeit und Aufsplitterung des Willens
und der Kräfte drohenden Katastrophe blicken. So erfuhr ich jetzt, daß
schon am Abend vorher — gestern, ehe er mich telephonisch nach Spa
beschied — eine eingehende Besprechung der Lage hier stattgefunden hatte,
in der General Gröner dem Kaiser dringend abgeraten habe, nach der
Heimat zurückzukehren — den „Durchbruch nach Innen“ zu versuchen.
Aufrührerische Massen seien unterwegs nach Verviers und Spa, und zu-
verlässige Truppen gebe es überhaupt nicht mehr! Auch an die Front —
um etwa da zu kämpfen und zu sterben — dürfe mein Vater nicht, da
dieser Schritt die Entente angesichts des bevorstehenden Waffenstillstandes
möglicherweise zu falschen Folgerungen veranlassen könnte, die dann nur
größeres Unheil und Blutvergießen zur Folge haben würden. In all
meiner tiefen Erschütterung versuchte ich sofort, wenigstens da einzugreifen
und zu hemmen, wo auch nach meiner Ansicht, trotz des bisherigen über-
stürzten Ablaufes der Ereignisse, ein Halten noch möglich war, noch er-
reicht werden mußte, wenn nicht alles verloren gehen sollte: War schon
die Abdankung als Kaiser wirklich nicht mehr vermeidbar, so mußte er doch
unerschütterlich als Preußenkönig bleiben! „Natürlich!“ Und das kam so
selbstverständlich, während seine Augen fest in die meinigen trafen, daß
mir mit diesem einen Wort, das ich nun hielt, schon viel gewonnen
schien. Auch die Notwendigkeit, daß er unter allen Umständen bei dem
Heere bleibe, betonte ich, und ich regte an, daß er mit zu meiner Heeres-
gruppe kommen und mit ihr, an ihrer Spitze, in die Heimat zurück-
marschieren möge.