822 Auhang II. Nacträge.
Jetzt stieß General Gröner wieder zu der Gruppe der anderen Herren,
und in seiner Begleitung war der Oberst Heye, der, wie ich nun erfuhr,
aus einer von der O. H. L., über die Köpfe der Heeresgruppen- und Armee-
oberkommandos weg, eilig zu einer Art von Konsilium berufenen Ver-
sammlung von Frontoffizieren kam, deren Votum von Gröner als ent-
scheidend beurteilt wurde. Der Kaiser forderte ihn auf, zu sprechen, und
Oberst Heye gab seinen Bericht: Es sei den Kommandeuren die Frage
vorgelegt worden, ob man für den Fall eines Bürgerkrieges in der Heimat
auf die Truppen rechnen könnte — die Frage sei verneint, die Sicherheit
der Truppen von einzelnen der Herren nicht unbedingt verbürgt worden.
Graf von der Schulenburg sprang ein: Was wir, die wir unsere Leute
kannten, aus eigener Erfahrung wußten, führte er an; vor allem eines:
daß das Heer vor der Frage, ob es etwa seinen Fahneneid brechen und
seinen Kaiser und Obersten Kriegsherrn in der Not verlassen wolle, sich
in seiner Masse sicher als kaisertreu erweisen würde. Aber dazu zuckte der
General Gröner nur mit den Schultern und zog die Oberlippe überlegen
bedauernd hoch: „Fahneneid? Kriegsherr? Das sind schließlich Worte —
das ist am Ende bloß eine Idee.“ Zwei Welten standen da einander
gegenüber, zwei Auffassungen, zwischen denen keine Brücke war und kein
Verstehen möglich blieb. Wieder antwortete Schulenburg, sagte dem General,
daß solche Worte nur erkennen ließen, daß er Seele und Puls der Männer
vorne gar nicht kenne.
Er sprach noch, als er durch Exzellenz von Hintze unterbrochen wurde,
der inzwischen wieder Berichte, aus Berlin empfangen hatte und diese neuen
Hiobsbotschaften dem Kaiser unterbreiten wollte: Der Reichskanzler Prinz Max,
der zugleich um seine Entlassung gebeten, hatte ihm soeben mitgeteilt, daß sich
die Lage in Berlin zur äußersten Bedrohlichkeit entwickelt habe und daß
die Monarchie nicht mehr zu retten wäre, wenn der Kaiser sich nicht sofort
zur Abdankung entschlösse. Der Kaiser nahm die Nachricht mit tiefem,
schweigendem Ernst entgegen. Farblos die fest geschlossenen Lippen in dem
graugelb gewordenen und wie um Jahre gealterten Gesicht. Nur wer ihn
kannte wie ich, konnte ermessen, was er trotz dieses mühsam aufrecht-
gehaltenen Bildes der Fassung und Haltung unter der brüsk und un-
geduldig drängenden Forderung des Kanzlers litt. Als Hintze zu Ende
war, nickte er kurz — suchte dann mit seinen Augen den Blick des General-
feldmarschalls, als müßte er bei ihm Kraft und Hilfe finden in seiner
Qual. Aber da war nichts. — Still, tief erschüttert, in ausweglosem
Schweigen stand der große alte Mann und ließ das Schicksal seines Königs
und Herrn, dem er so lange treu und tapfer als Soldat gedient hatte,
sich erfüllen. Allein war der Kaiser. Nicht einer mehr von all den Männern
der O. H. L., die einst von Ludendorff zu einer festen Einheit zusammen-
geschlossen worden waren, trat jetzt zu ihm und sprang ihm bei. Zer-
splittert, in Zersetzung alles auch hier — nicht anders als in der Heimat.
Hier, wo der eisern starke Wille hätte aufspringen, sich in alle Befehls-
stellen zwingend auswirken, alle gesund gebliebenen Kräfte an den Fronten
rings zur starken Tat hätte zusammenraffen müssen, um sich durchzusetzen.
Nichts — nichts davon. Jetzt herrschte General Gröners Wesen, und das
gab den Kaiser mit einem Achselzucken auf. Rauh und fremd, gleichsam
unwirklich, klang die Stimme meines Vaters, wie er den immer noch still
wartenden Hintze dann sachlich beauftragte, dem Reichskanzler zu tele-
phonieren, daß er bereit sei, die Kaiserkrone niederzulegen, wenn nur da-
durch der allgemeine Bürgerkrieg in Deutschland zu vermeiden sei, daß er
aber König von Preußen bleibe und sein Heer nicht verlassen werde.
Schweigen der Herren.. Schon wollte der Staatssekretär gehen, da