Anhang II. Nachträge. 823
machte Schulenburg darauf aufmerksam, daß es unter allen Umständen
notwendig sei, diese tiefbedeutungsvolle Entschließung Seiner Majestät
zunächst schriftlich festzulegen. Erst nach Genehmigung und Unterzeichnung
des Schriststückes könne sie an den Reichskanzler gemeldet werden. Der
Kaiser dankte: — ja, das war richtig. Und er forderte den Generaloberst
von Plessen, den General von Marschall, Exzellenz von Hintze und den
Grafen von der Schulenburg auf, diese Erklärung sogleich aufzusetzen und
ihm zur Unterschrift zu reichen. So ging man wieder in das Haus.
Die Herren waren noch bei der Arbeit, als wiederum ein An-
ruf aus Berlin erfolgte: Der Chef der Reichskanzlei, Exzellenz von
Wahnschaffe, drängte nach der Abdankungserklärung — und wurde von
dem Grafen von der Schulenburg dahin beschieden, daß der von Seiner
Masestät bereits gefaßte Entschluß soeben formuliert und alsbald an die
Reichsregierung abgehen werde. Das Schriftstück sprach nicht die Abdankung
als Kaiser, sondern die Bereitwilligkeit dazu aus, wenn nur dadurch
weiteres Blutvergießen und vor allem ein Bürgerkrieg vermieden würde.
Dazu betonte es, daß er König von Preußen bleiben und das Heer in
geschlossener Ordnung in die Heimat zurückführen werde. Exzellenz von
Hiutze übernahm es, den Wortlaut des Schriftstückes an das Reichskanzler-
amt zu telephonieren.
Inzwischen war es etwa ein Uhr geworden, und man ging zum
Frühstück. — Dieses wortkarge Beieinandersein in dem weißen, hellen Raume
um die Tafel, auf der frische Blumen standen und um die doch nur Qual
und verzweifelnde Sorge saßen, gehört zu meinen grausamsten Erinnerungen.
Keiner, der sein Gesicht dem anderen ohne Maske zeigte — ein krampf-
haftes Bemühen, für diese halbe Stunde unbefangen zu erscheinen und
nicht von dem Gespenst zu reden, das hinter unseren Rücken stand und
das doch keiner auch nur für einen Augenblick vergessen konnte — Bissen,
die einem im Munde gquollen und die nicht durch die Kehle wollten — das
Ganze wie ein grauenvolles Totenmahl. Nach dieser unerträglich quälenden
Tafel blieb Seine Majestät mit mir und Schulenburg im Gespräch und
wurde — es war wenige Minuten nach zwei Uhr — von General von
Plessen hinausgerufen: Staatssekretär von Hintze, der soeben nach Berlin
telephonierte, sei durch eine neue Berliner Meldung gewissermaßen überrannt
worden. Wir anderen blieben zurück in einem erregt wartenden Empfinden, daß
irgendein völlig unvorhergesehener Zwischenfall sich ereignet und die ver-
worrene und erstickende Lage noch mehr zerrüttet haben müsse. Unendlich
lang erschienen mir die wenigen Minuten, die so vergingen. Dann wurden
Schulenburg und ich zum Kaiser befohlen.
Wir fanden ihn, bei aller äußerlich gewaltsam bewahrten Fassung und
Würde, seelisch aufs tiefste erschüttert. Und immer noch gleichsam im Kampfe
mit dem Zweifel, ob das, was er soeben erlebt hatte, denn auch Wirklichkeit
und Wahrheit sein könne, sagte er uns, er habe soeben die Mitteilung des
Reichskanzleramtes erhalten, daß eine Botschaft über seine Abdankung als
Kaiser und König von Preußen und gleichzeitig über meine Verzichterklärung
im gleichen Umfange vom Prinzen Max von Baden, ohne daß der Prinz
die Erklärung des Kaisers abgewartet hätte, über unsere Köpfe weg aus-
gesprochen und durch das Wolffsche Telegraphenbureau verbreitet sei — daß
der Prinz als Reichskanzler zurückgetreten sei und zum Reichsverweser
ernannt und der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Ebert nun-
mehr Reichskanzler sei. Wir alle waren von dem Schlage dieser Nach-
richt so benommen und erstarrt, daß wir im ersten Augenblick kaum
fähig waren, zu sprechen. Dann aber versuchten wir sogleich, den ganzen
beispiellosen Vorgang im Zusammenhange festzulegen: Exzellenz von