Anhaug II. Nacträze. 827
tiefstes Mißtrauen und unverhohlenen, tief sitzenden Haß. Keine Spur von
Achtung oder Ritterlichkeit wurde gegenüber dem unterlegenen tapferen
Gegner gezeigt. Dieser sollte den Kelch bis zur Neige leeren. Wir haben
später erfahren müssen, daß selbst das, was damals zur Beruhigung münd-
lich zugesichert wurde, in keiner Weise gehalten wurde. So wurden z. B.
die deutschen Bedenken wegen der Behandlung des besetzten Gebiets, ins-
besondere wegen des Regquisitionsrechts der Besatzungstruppen, der Be-
handlung der Kriegsbeschuldigten und anderes, worüber die Bedingungen
sich nur sehr unklar und allgemein aussprachen, für unbegründet erklärt.
„Unsere Bestimmungen sind bei weitem nicht so weitgehend wie die Ihrigen,
wir werden das Recht sehr milde handhaben“, sagte der feindliche General.
Auch ein anderes Wort der franz. Generale soll nicht in Vergessenheit ge-
arten: .II u#'y a rvien entre les lignes“, und „Was nicht im Vertrag drin steht,
steht nicht drin“, wurde damals und später immer wieder gesagt. Und was wurde
nachher alles hineingeheimnißt! Es war übrigens gleichgültig, ob man solchen
Versicherungen glaubte oder nicht. Man mußte sich zufrieden geben, daß über-
haupt Besprechungen stattfanden. Als die deutschen Bevollmächtigten am
7. Nov. mittags in Spa abreisten, war die Revolution im Fortschreiten.
Man hoffte aber noch, eine Staatsumwälzung im jetzigen Augenblick, die
auf die Waffenstillstandsverhandlungen äußerst ungünstig zurückwirken
mußte, vermeiden zu können. Insbesondere Erzberger hat dies mehrfach
ausgesprochen. Bekanntlich aber überstürzten sich gerade in den Tagen
v. 7. Nov. ab die Ereignisse. Die deutschen Bevollmächtigten im Walde
den Compiegne erfuhren nur unzusammenhängende Bruchstücke, nur das,
was die Franzosen mitzuteilen für gut hielten. Wie peinlich und wie be-
schämend diese Lage war, bedarf kaum der Erwähnung. Was man erfuhr,
war nicht viel, aber doch genug, um erkennen zu lassen, daß nunmehr jede
Möglichkeit des Widerstandes geschwunden war. Es wurde klar, daß nun
unter allen Umständen unterzeichnet werden müßte.
Bezüglich der Stellung der Obersten Heeresleitung zur Frage der
Unterzeichnung bemerkt der Verf., daß für ihre Zustimmung zur sofortigen
Unterzeichnung zweifellos die innere Lage maßgebend gewesen sei, die ent-
scheidend auf die militärische Lage zurückgewirkt habe. Auch nach der Unter-
zeichnung sei die mala tilles der Franzosen zutage getreten, so daß die
deutsche Oberste Heeresleitung erst zwischen 10 und 11 Uhr abends in den
Besitz des Vertrages gekommen sei, der bereits seit 11 Uhr morgens in
Kraft war. Abschließend stellt der Verf. fest, daß die Meinung Erzbergers,
durch seine Geschicklichkeit im Walde von Compiegne Erhebliches erreicht zu
haben, wofür, wie Erzberger in seinen Erinnerungen schreibt, G M. v. Hinden-
burg und Gen. Gröner sich bei ihm in einer über die gewöhnliche Form
der Höflichkeit hinausgehenden Art bedankt hätten, keine Berechtigung habe,
daß aber ebensowenig Grund zu der Annahme vorliege, ein anderer Unter-
händler hätte angesichts der Verbohrtheit der Feinde wesentlich bessere
Bedingungen erzielt.