Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

80 Die sterreichisch-ungarische Monarchie und die Nachfolsestasten. (Okt. 23.) 
Pflichten, die ihr bis zu jenem Augenblick noch zu erfüllen habt, sind be- 
sonders schwer; eure soldatischen Tugenden, eure Einsicht und euer Opfer- 
mut bestimmen heute mehr denn je die Zukunft aller Völker der Monarchie 
ohne Ausnahme und Unterschied. Eure in ungezählten Schlachten erprobte 
Manneszucht, eure Treue und der eiserne Gehorsam, der euch zu unver- 
gleichlichen Ruhmestaten befähigte, bleiben unveränderlich der Fels, an dem 
alle Angriffe und Brandungen zerschellen müssen. Die Zeit ist erfüllt von 
ernsten Wirrnissen. Diese dürfen an Heer und Flotte nicht heran. Klar 
und einfach wie der Eid, den ihr vor dem Allmächtigen abgelegt habt, 
sind, Soldaten, eure Pflichten. Daran gibt's kein Rütteln und kein Deuteln. 
In der Wehrmacht fanden seit jeher alle Völker der Monarchie gleicherweise 
ihre Heimat; daher vermochte sie so Großes zu vollbringen. Wie sie in den 
Krieg trat, so wird sie über die Fährnisse der Gegenwart hinwegschreiten, 
ruhig und zielbewußt, ehrenhaft und treu, zum Heile aller Völker! Gottes 
Segen mit euch! Reichenau, am 23. Okt. 1918. Karl m. p. 
23. Okt. (Osterr. Delegation.) Ausw. Ausschuß. 
Auf Wunsch des Ministers des Aeußern Grafen Burian, der die 
österr. Volksvertretung zur Mitwirkung an der ausw. Politik im bisherigen 
österr.-ung. Sinne zu gewinnen sucht, hält der österr. Delegationsausschuß 
für Aeußeres eine vertrauliche Sitzung ab, in welcher der Minister den 
Entwurf einer Antwortnote an den Präsidenten Wilson vorlegt. 
Die Tschechen erklären im eigenen und im Namen der Südfslawen, da ihre 
eigenen Staaten bereits bestehen, aus prinzipiellen Gründen sich an den 
Beratungen nicht beteiligen zu können. Die übrigen Parteien nehmen zu 
den Ausführungen des Grafen Burian Stellung. Im Namen der deutsch- 
nat. Delegierten gibt Abg. Dr. Langenhan folgende Erklärung ab: Die 
Deutschen in Oesterreich haben durch die Konstituierung ihrer eigenen Nation 
das volle und uneingeschränkte Recht auch aller anderen Nationen anerkannt, 
eigene Staaten zu bilden. Die Deutschen sind bereit, mit den selbständig 
gewordenen Nationen auf der Grundlage völliger Freiheit über die Bil- 
dung eines Bundesstaates zu verhandeln, sie behalten sich jedoch die weitere 
Verhandlungsfreiheit und Entscheidung über ihre äußere Politik vor. Sie 
sind gewillt, den Anschluß an das Deutsche Reich zu vollziehen, wenn es 
sich hier als unmöglich erweisen sollte, mit den übrigen Nationen in das 
Verhältnis eines Staatenbundes zu gelangen. Sie verlangen die eigene 
Vertretung der Deutschen in Oesterreich bei der Friedenskonferenz und 
werden dort diesen ihren Standpunkt eingehend begründen. Die Deutsch- 
österreicher sind bereit, die Bemühungen aller Völker zur Förderung des 
vom Präsidenten Wilson propagierten Friedenswerkes zu unterstützen. — 
Die Verhandlungen ergeben jedoch kein Resultat. 
23. Okt. (Deutschböhmen.) Zusammentritt der Deutschböhm. 
Nationalversammlung in Wien. 
Es nehmen nur die auf Grund des allgemeinen Wahlrechts gewählten 
Mandatsträger (also keine Herrenhausmitglieder) daran teil. Es wird ein 
Ausschuß von 12 Mitgliedern, darunter 3 Soz., gewählt, der Vorschläge 
über die Organisation Deutschböhmens erstatten soll. 
23. Okt. (Ungarn.) Rücktritt des Kabinetts Wekerle. 
In der Sitzung des Abg.-Hauses verliest Abg. Balla (Karolyipart.) 
ein Telegramm, das mitteilt, daß am Morgen in Fiume kroatische Sol- 
daten gemeutert und sich aller öffentlichen Gebäude bemächtigt haben. Des 
Hauses bemächtigt sich große Erregung und die Sitzung muß sofort unter-
	        
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