Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

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beschlossen, der die Leitung der staatlichen Angelegenheiten Ungarns über— 
nehmen soll. Sein Präsident ist Graf Michael Karolyi. Spät in der Nacht 
wird eine Proklamation an das Volk Ungarns ausgegeben, worin als 
Programm u. a. die völlige Unabhängigkeit Ungarns, die sofortige Be- 
endigung des Krieges, die Auflösung des Bündnisses mit Deutschland, Auf- 
lösung des Abg.-Hauses, allgemeines, gleiches Wahlrecht verkündet wird. 
Gleichzeitig bildet sich in Budopest ein A.- u. S.-Rat. 
27. Okt. Sonderfriedensschritt Österreich= Ungarns. 
Antwort Andrassys an Wilson mit der Bitte um sofortigen Waffen- 
stillstand. (Dieinn Wortlaut s. im Anh. zu den Ver. St.) 
Gleichzeitig teilt die Regierung den Inhalt der Note der franz., groß- 
britann., jap. und ital. Regierung mit der Bitte mit, dem darin enthaltenen 
Vorschlag auch ihrerseits zuzustimmen und ihn bei dem Präsidenten Wilson 
zu unterstützen. 
Am 28. richtet außerdem der Minister des Aeußern Graf Andrassy 
an den amerik. Staatssekretär Lansing folgendes Telegramm: Sofort nach 
Uebernahme der Leitung des Ministeriums des Acußern habe ich eine offi- 
zielle Antwort auf Ihre Note v. 18. Okt. abgesandt, aus welcher Sie ent- 
nehmen werden, daß wir in allen Punkten die Grundsätze annehmen, welche 
der Präsident der Ver. St. in seinen verschiedenen Erklärungen aufgestellt 
hat. In voller Uebereinstimmung mit den Bestrebungen Herrn Wilsons zur 
Sicherung vor künftigen Kriegen und zur Schaffung einer Völkerfamilie 
haben wir bereits Vorbereitungen getroffen, damit die Völker Oesterreichs 
und Ungarns ihre künftige Gestaltung nach eigenem Wunsche gänzlich un- 
behindert bestimmen und vollziehen können. Seit dem Regierungsantritt 
des Kaisers und Königs Karl war es sein unentwegtes Bestreben, das Ende 
des Krieges herbeizuführen. Mehr als je ist das heute der Wunsch des 
Herrschers und aller Völker Oesterreichs und Ungarns, die von der Ueber- 
zeugung durchdrungen sind, daß ihr künftiges Schicksal nur in einer fried- 
lichen Welt, frei von Erschütterungen, Prüfungen, Entbehrungen und Bitter- 
nissen des Krieges gestaltet werden könne. Ich wende mich deshalb direkt 
an Sie, Herr Staatssekretär, mit der Bitte, bei dem Herrn Präsidenten der 
Ver. St. dahin wirken zu wollen, daß im Interesse der Humanität sowie 
im Interesse aller Völker, die in Oesterreich und Ungarn leben, der sofortige 
Waffenstillstand an allen Fronten Oesterreich-Ungarns herbeigeführt werde 
und die Einleitung von Friedensverhandlungen erfolge. 
Zur Erläuterung der Antwortnote wird am 28. in Wien halb- 
amtlich verlautbart: Zur Antwort der österr.-ung. Regierung auf die letzte 
Note Wilsons erfahren die Blätter von unterrichteter Seite, die amerik. Re- 
gierung habe, als Deutschland, Oesterreich-Ungarn und die Türkei sich seiner- 
zeit an sie mit dem Waffenstillstands= und Friedensangebot gewandt hätten, 
nicht gleichzeitig die Antwort erteilt. Die Antwort an Oesterreich-Ungarn sei 
vielmehr in einem deutlichen zeitlichen Abstand von derjenigen an Deutsch- 
land erfolgt, wodurch klar geworden wäre, daß die Ver. St. gesondert mit 
den drei verbündeten Mittelmächten verhandeln wollten. Was inzwischen 
Amerika und die Türkei verhandelten, sei bisher nicht bekannt geworden, 
Oesterreich-Ungarn daher gehalten, auch seinerseits die Art des Schrift- 
wechsels der Ver. St. anzunehmen. Die Monarchie habe sich in förmlicher 
und verhandlungstechnischer Hinsicht dem Präsidenten Wilson völlig an- 
gepaßt, sie stehe auch sachlich auf dem gleichen Standpunkt wie er. Aus 
der Note gehe hervor, daß Wilson die Angelegenheit der Völker Oesterreichs. 
nicht auf internationalem Wege selbst entscheiden wolle, sondern die Natio-
	        
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