Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

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schaftlich an den Friedenstisch setzen würden. Noch immer hat das Sprich- 
wort seine Bedeutung: Einigkeit macht stark! 
Das Wiener „Telegr.-Korr.-Bur.“ meldet dazu am 29. halbamtlich: 
Gegenüber den von verschiedenen inländischen Blättern gebrachten Mit- 
teilungen, von denen sich eine auf eine Unterredung mit dem hiesigen 
deutschen Botschafter beruft, sind wir ermächtigt, nach'tehendes festzustellen: 
Die kaiserl. deutsche Regierung war durch wiederholte Mitteilungen der maß- 
gebenden Stellen Oesterreich-Ungarns seit längerm in Kenntnis, daß die 
Monarchie den Krieg höchstens bis zu einem bestimmten Zeitpunkt werde 
fortführen können. Unmittelbar nach dem Amtsantritt des Grafen Andrassy 
am 26. Okt. hat der Kaiser dem Deutschen Kaiser in einem freundschaftlichen 
Telegramm in unzweideutiger Weise mitgeteilt, daß Oesterreich-Ungarn 
nunmehr veranlaßt sei, den entscheidenden Schritt in der Friedenssache zu 
unternehmen. In einer Unterredung zwischen dem Minister des Aeußern 
und dem kaiserlich deutschen Botschafter in Wien am gleichen Tage war 
letzterer gleichfalls auf den bevorstehenden Schritt der Monarchie vorbereitet 
worden. Noch vor der Absendung der Note an den Präsidenten der Ver. St. 
fand dann am 27. d. M. eine hierauf bezügliche Unterredung zwischen dem 
Grafen Andrassy und dem Grafen Wedel statt. 
Das „WB.“" verbreitet dazu folgende halbamtliche deutsche Erwide- 
rung: Durch das Friedensangebot an den Präsidenten Wilson war dem 
Wunsche der österr.-ung. Regierung auf einen baldigen Friedensschluß in 
vollem Umfange Rechnung getragen worden. Der Schwerpunkt des Vor- 
gehens des Grafen Andrassy aber liegt in dem Angebot eines Sonder- 
friedens. Daß ein solches Angebot „innerhalb 24 Stunden“ beabsichtigt 
sei, hat Kaiser Karl dem Deutschen Kaiser am 26. Okt. als einen „unabänder- 
lichen Entschluß“ mitgeteilt. Die kaiserl Regierung wurde damit vor eine 
vollendete, unabänderliche Tatsache gestellt, ohne daß ihr die Möglichkeit 
geboten worden war, dazu Stellung zu nehmen. Die Darstellung des Wiener 
„Telegr.-Korr.-Bur.“ muß daher als irreführend zurückgewiesen werden. 
Ueber die Beweggründe für das Sonderfriedensangebot äußerte Graf 
Andrassy nach einer Mitteilung des ung. Blattes „Usr Nemzedék“" v. 27. Okt. 
1919: Durch eine Fortsetzung des Krieges hätten wir den Deutschen gar 
nicht nützen können. Wir konnten ihnen nur noch nützen, wenn wir so 
schnell als möglich sie davon überzeugten, daß uns nur ein Friedensschluß 
übrig bleibe. Auch im Interesse der Deutschen war es, daß die Monarchie 
eine Annäherung an die Entente suchte, um später zwischen Deutschland 
und der Entente zu vermitteln. Meine Auffassung war, daß selbst der 
schlechteste Friede Deutschland nicht zugrunde richten kann, Oesterreich-Ungarn 
jedoch am Rande der Vernichtung steht. Wir waren also mit unserem Leben 
interessiert, Deutschland bloß mit seiner Machtstellung. Wer behauptet, daß 
ich ohne Notwendigkeit die Ehre der Nation ausgeopfert habe, als ich die 
Bündnispflicht brach, dem antworte ich, daß die Ehre der Nation mehr 
gelitten hätte, wenn wir weiter ohne jeden Nutzen ihre Söhne zur Schlacht- 
bank geschickt hätten. Dieses Gebot galt mir heiliger als die durch das 
Bündnis auferlegte Pflicht, dessen Ziele nicht mehr erreichbar waren. 
Die Antwortnote an Amerika ruft bei den deutsch-bürgerlichen Par- 
teien tiefe Entrüstung hervor, da sie praktisch die Aufsage des Bündnisses 
mit Deutschland ist. Allgemein wird der Ueberzeugung Ausdruck gegeben, 
daß das Bündnis und die Interessen Deutschösterreichs geopfert werden. 
zugunsten der Politik Karolyis, der für Ungarn durch die Kapitulation zu 
retten trachte, was zu retten ist. 
Die zwischen Kaiser Karl und Kaiser Wilhelm gewechselten Tele-
	        
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