88 Bie ästerreichisch-ungarisete Monarc#ie und die Nachfolgestaaten. (Okt. 28. 29.)
Liquidierungsausschuß eingesetzt, der seinen Sitz in Lemberg hat und die
Verwaltung aller Gebiete des öffentlichen Lebens übernimmt. Die Ab-
geordnetenversammlung betrachtet die poln. Regierung in Warschau als ihre
Vertretung nach außen, die berechtigt ist, Frieden zu schließen. — Der
Liquidierungsausschuß wird beauftragt, die Rückkehr der Kader der poln.
Regimenter und aller poln. Soldaten sowie die Entfernung der fremden
Truppen aus dem Lande durchzuführen. Die Ausfuhr von Lebensmitteln ist
an die Bewilligung des Liquidierungsausschusses geknüpft. (S. auch 1. Nov.)
8. Okt. (Ungarn.) König Karl bestellt den Erzherzog Joseph
zum Homo regius.
Er wird damit betraut, mit den führenden Männern des ung. politi-
schen Lebens in Fühlung zu treten, um über einen Weg zu verhandeln,
der die Lösung der seit dem 23. vorhandenen Regierungskrise ermöglicht.
Am Abend findet in Budapest eine von der Karolyipartei in Szene gesetzte
Demonstration statt. Eine Volksmenge beschließt nach Ofen zu ziehen, um
dem Erzherzog Joseph den Wunsch des Volkes nach einer Volksregierung
mit Graf Karolyi als Ministerpräsident vorzutragen. Sie wird aber durch
Militär zerstreut. Am 29. wird Graf Joh. Hadik (Aug. 1917— Jan. 1918
Minister für Ernährungswesen) zum Ministerpräsidenten ernannt. Sein
zVersuch, ein demokr. Sammlungskabinett mit Ausschluß der Karolyipartei
u bilden, mißlingt jedoch. Am 30. abends bricht die Revolution aus (s. S. 95).
29. Okt. (Böhmen.) Konstituierung Deutschböhmens.
Die deutschböhm. Abg. versammeln sich im niederösterr. Landhause in
Wien zur Konstituierung Deutschböhmens. Vorsitzender Pacher stellt in
der Eröffnungsansprache fest, daß Deutschböhmen zum Staate Deutsch-
österreich gehöre und niemand das Recht habe, ein Gelöbnis auf den
tschech. Staat zu verlangen. Die Versammlung nimmt einstimmig eine Ent-
schließung an, in der gegen die Annexionsabsichten durch die Tschechen
Protest erhoben wird, und beschließt bis zur Regelung der Verfassung und
Verwaltung Deutschösterreichs auf demokratischer Grundlage eine vor-
läufige Verfassung für Deutschböhmen, worin festgestellt wird, daß der
Provinz Deutschböhmen im Verhältnis zum Staate Deutschösterreich alle
Rechte und Pflichten zukommen, welche für das Königreich Böhmen im
Verhältnis zu den übrigen im Reichsrat vertretenen Königreichen und
Ländern in der böhm. Landesordnung und in dem österr. Verfassungsgesetz
niedergelegt sind. Die Versammlung aller jetzigen deutschen Reichsrats-
abgeordneten Böhmens bildet den vorläufigen Landtag der Provinz Deutsch-
böhmen. Der vorläufige Sitz der Landesvertretung ist die Stadt Reichen-
berg. Der vorläufige Landtag bestellt aus seiner Mitte einen Landesausschuß
und eine Landesregierung mit dem Landeshauptmann an der Spitze. Die
Verfassung sieht die Errichtung einer Volkswehr für Deutschböhmen vor.
Zum Landeshauptmann wird Pacher gewählt. Der Landeshauptmann wird
beauftragt, sich unverzüglich mit dem deutschösterr. Vollzugsausschuß ins
Einvernehmen zu setzen, um die Verwaltungsgeschäfte der bisherigen Be-
hörden der böhm. Landesverwaltungskommission für das Gebiet Deutsch-
böhmen zu übernehmen. Bezüglich der gemischt-nationalen Gemeinden des
Landes möge der Landeshauptmann sich über die Errichtung einer beson-
deren Verwaltung daselbst bis zur endgültigen Ordnung der Verhältnisse
mit den Vertretern des tschech. Volkes ins Einvernehmen setzen. Der Landes-
hauptmann wird ermächtigt, ein Darlehen bis zu 100 Mill. Kr. aufzunehmen.
Am 1. Nov. übernimmt Landeshauptmannstellvertreter Abg. Seliger
in Reichenberg die Regierungsgeschäfte.